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Koste Es Was Es Wolle
Jack Mars


Ein Luke Stone Thriller #1
Als Mitten in der Nacht radioaktiver Müll von Dschihadisten aus einem unbewachten New Yorker Krankenhaus gestohlen wird, bleibt der Polizei in ihrem Kampf gegen die Zeit nichts anderes übrig als das FBI zu verständigen. Luke Stone, der Kopf einer geheimen Eliteeinheit des FBIs wird dabei zu ihrem einzigen Hoffnungsträger. Luke ist schnell klar, dass es den Terroristen darum geht eine radioaktive Bombe zu bauen, um in den nächsten vierundzwanzig Stunden ein politisch brisantes Ziel anzugreifen. Die Folge ist ein Katz und Maus Spiel, das die weltbesten Regierungsbeamten gegen die ausgeklügelten Pläne der Terroristen ausspielt. Agent Stone trägt die einzelnen Puzzleteile zusammen und muss bald feststellen, dass er es mit einer umfassenden Verschwörung zu tun hat. Das Ziel ist dabei noch brisanter als er es sich hätte ausmalen können und führt ihn direkt zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch Luke persönlich wird in die Geschehnisse mit hineingerissen. Luke wird für Verbrechen angeklagt, die er nicht begangen hat, sein Team wird bedroht und seine Familie großer Gefahr ausgesetzt. Aber als ehemaliger Kommandant der Spezialeinheit hat Luke schon viele schwierige Situationen im Laufe seines Lebens gemeistert somit wir er nicht eher aufgeben bis er einen Weg gefunden hat sie aufzuhalten – koste es was es wolle. Zug um Zug sieht er sich mit unzähligen Hindernissen und Verschwörungskomplotten konfrontiert, während er selbst nicht nur an die Grenzen seiner physischen Verfassung gerät, sondern auch an die seiner Vorstellungskraft. Als Polit-Thriller mit atemberaubender Action, internationalen Schauplätzen und nicht endender Spannung markiert KOSTE ES WAS ES WOLLE das Debut einer aufregenden neuen Serie, die Sie in ihren Bann ziehen wird. Buch 2 der Luke Stone Serie ist schon bald verfügbar.





Jack Mars

Koste Es Was Es Wolle (Ein Luke Stone Thriller—Buch 1)




Jack Mars

Jack Mars ist ein begeisterter Leser und Zeit seines Lebens großer Anhänger des Thriller-Genres. KOSTE ES WAS ES WOLLE ist Jacks erster Thriller. Jack würde sich freuen von Ihnen zu hören. Dafür einfach auf www.Jackmarsauthor.com (http://www.jackmarsauthor.com/) mit Ihrer Email-Adresse registrieren und ein kostenfreies Buch und Geschenk erwerben. Wir sind auch auf Facebook und Twitter zu finden.



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TEIL EINS





Kapitel 1




5.В Juni, 1.15 Uhr

Fairfax County, Virginia – Vorort Washington DCs


Das Telefon klingelte.

Luke Stone befand sich in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Bilder kreuzten seine Gedanken. Es war Nacht auf einem leeren regennassen Highway. Das Wrack eines Autos. Aus der Ferne näherte sich in schnellem Tempo ein Krankenwagen. Die Sirene heulte.

Er Г¶ffnete die Augen. In der Dunkelheit seines Schlafzimmers klingelte neben ihm auf dem Nachttisch das Telefon. Eine Digitaluhr stand neben dem Telefon auf dem Tisch. Er schaute kurz auf die roten Ziffern.

“Verdammter Mist”, brummte er. Er war erst vor einer halben Stunde eingeschlafen. Die schlaftrunkene Stimme seiner Frau Rebecca murmelte: „Geh nicht ran.“ Einige Strähnen ihres blonden Haars schauten unter der Bettdecke hervor. Der schwache Schein des blauen Nachtlichts aus dem Badezimmer drang in den Raum. Er nahm den Hörer ab. „Luke“, sagte eine Stimme. Die Stimme war tief und rau, ihr Südstaatendialekt kaum wahrnehmbar. Luke kannte diese Stimme nur allzu gut. Es war Don Morris, sein einstiger Boss beim Spezialeinsatzkommando.

Luke fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ja?“ „Hab ich dich aufgeweckt?“, fragte Don. „Was glaubst du wohl?“ „Ich hätte dich nicht zu Hause angerufen, wenn dein Handy nicht ausgeschaltet wäre.“ Luke schnaubte. „Genau deshalb ist es aus.“

„Wir haben hier Ärger, Luke. Ich brauch dich hier.“ „Schieß los“, sagte Luke. Er lauschte der Stimme. Er hatte schnell wieder dieses Gefühl, dass er in solchen Momenten immer bekommen hatte – ein Gefühl, sein Magen würde in einem Fahrstuhl fünfzig Stockwerke nach oben rasen. Vielleicht war das der Grund, weshalb er den Job hingeschmissen hatte. Nicht wegen der Flut von Anrufen, nicht weil sein Sohn so schnell größer wurde, sondern weil er dieses Gefühl im Magen nicht ausstehen konnte.

Es war das Wissen um die Dinge, das ihm zu schaffen machte. Dieses Wissen erdrГјckte ihn. Er dachte an die vielen Millionen Menschen in der Welt, die ihr Leben glГјcklich lebten, voll glГјckseliger Unwissenheit Гјber die Dinge, die in der Welt vor sich gingen. Luke beneidete ihre Ahnungslosigkeit.

„Wann ist das passiert?“, fragte er.

„Wir haben noch keine Ahnung. Vor einer, vielleicht zwei Stunden. Das Krankenhaus hat den Sicherheitsverstoß vor etwa fünfzehn Minuten entdeckt. Einige Mitarbeiter werden vermisst, es sieht also nach einem Insider Job aus. Das könnte sich allerdings ändern, wenn neue Geheimdienstinformationen reinkommen. Die New Yorker Polizeidirektion ist völlig aus dem Häuschen, aus offensichtlichen Gründen. Sie haben zwei tausend Extraleute aufgestellt und so wie ich das sehe, wird das nicht reichen. Die meisten von ihnen werden vor dem Schichtwechsel noch nicht einmal vor Ort sein können.“

„Wer hat die Direktion angerufen?“ fragte Luke. „Das Krankenhaus.“ „Wer hat uns angerufen?“ „Der Polizeichef.“

„Hat er sonst noch jemanden angerufen?“ „Nein. Damit ist es an uns.“

Luke nickte.

“Okay, gut. Dabei sollten wir es auch belassen. Die Polizisten müssen den Tatort absperren und sichern. Aber sie müssen dem direkten Umkreis fernbleiben. Sie dürfen da nicht rein. Sie müssen auch die Medien da raushalten. Wenn die Zeitungen das herausbekommen, dann wird das ein riesen Zirkus.“

„Schon getan.“

Luke seufzte. „Wir können von einem zwei Stunden Vorsprung ausgehen. Das ist alles andere als gut. Kaum wieder aufzuholen. Sie könnten überall sein.“

„Ich weiß. Die Direktion überwacht alle möglichen Brücken, Tunnel, U-Bahnen, den Pendlerverkehr. Sie überprüfen die Daten der Highway Mautstellen, aber es ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wir haben nicht genug Leute.“

„Wann wirst du hochfahren?“ sagte Luke. Don antwortete ohne Zögern. „Jetzt. Und du kommst mit.“ Luke schaute erneut auf die Uhr, 1.23 Uhr. „Ich kann in einer halben Stunde am Helikopter sein.“ „Ich habe schon ein Auto geschickt“, sagte Don. „Der Fahrer hat gerade Bescheid gegeben. Er ist in zehn Minuten bei dir.“ Luke legte auf. Rebecca war nun halb wach, ihren Kopf auf einen Ellenbogen gestützt, schaute sie ihn eingehend an. Ihr langes Haar fiel über ihre Schultern. Dicke Wimpern rahmten ihre blauen Augen. Ihr hübsches Gesicht war schmaler als damals, als sie sich am College kennengelernt hatten. Sorgen hatten im Laufe der Jahre feine Linien in ihrem Gesicht hinterlassen.

Luke bereute dies. Es trieb ihn um, dass seine Arbeit ihr so viel Schmerz bereitet hatte. Das war ein weiterer Grund gewesen, seinen Job aufzugeben.

Er erinnerte sich daran, wie sie war, als sie noch jung waren, so ausgelassen, immer ein Lachen auf den Lippen. Sie war so unbeschwert damals. Es war viel Zeit vergangen, seitdem er sie das letzte Mal so gesehen hatte. Er dachte, dass diese Becca vielleicht wieder zum Vorschein käme, wenn er seinen Job aufgäbe. Die Veränderung machte sich jedoch nur langsam bemerkbar. Es gab mit Sicherheit immer wieder Momente der wahren Becca, aber die waren schnell vorüber.

Er wusste genau, dass sie der Situation nicht traute. Sie traute ihm nicht. Sie wartete nur auf diesen Anruf mitten in der Nacht, den er entgegen nehmen musste. Derjenige, nachdem er auflegte, aufstГјnde und das Haus verlieГџe.

Sie hatten heute einen schönen Abend gehabt. Für einige wenige Momente waren fast die alten Zeiten wieder eingekehrt. Und nun das. „Luke…“ begann sie. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Er sagte ihm, dass sie es ihm schwer machen würde.

Luke sprang aus dem Bett, teils weil es die Umstände so forderten, teils weil er aus dem Haus sein wollte, bevor Becca ihre Gedanken geordnet hatte. Er huschte ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und betrachtete sich flüchtig im Spiegel. Er fühlte sich wach, seine Augen jedoch waren müde. Sein drahtiger Körper war stark – ein Zeichen seines Trainings vier Tage die Woche. Neununddreißig Jahre, dachte er. Nicht schlecht.

Er zog eine lange stählerne Kassette von einem der oberen Regalplatten des begehbaren Kleiderschranks. Aus dem Gedächtnis tippte er die zehnstellige Zahlenkombination ein. Das Schloss ploppte auf. Er entnahm der Kassette seine Neun-Millimeter-Glock und steckte sie in ein ledernes Schulterholster. Er hockte sich hin und befestigte eine kleine 25 Kaliber Pistole an seiner rechten Wade sowie eine etwa 13 Zentimeter lange gezahnte Klinge, dessen Griff auch als Schlagring herhalten konnte, an seiner linken Wade.

“Ich dachte, du würdest keine Waffen mehr im Haus haben.”

Er blickte hoch, es war natürlich Becca, die ihm zusah. Sie trug einen Morgenmantel, den sie eng um ihren Körper geschlungen hatte. Ihre Haare hatte sie hinten zusammengenommen. Ihre Arme waren verschränkt. Ihr Gesicht war angespannt und ihre Augen auf der Hut. Die lustvolle Frau der frühen Abendstunden war verschwunden. Lange schon.

Luke schüttelte seinen Kopf. „Das habe ich nie gesagt.“

Er stand auf und begann sich anzuziehen. Er zog seine schwarze Cargo-Hose an und lieГџ einige Schussmagazine mehr in seiner Hosentasche verschwinden. Er streifte ein tailliertes Hemd Гјber und steckte die Glock in den Bund darГјber. Er schlГјpfte in seine Stahlkappen-Stiefel, schloss die Waffenkiste wieder und verstaute sie an ihrem angestammten Platz im oberen Teil des Schranks.

„Was wäre, wenn Gunner die Kiste finden würde?“

„Sie steht so weit oben, dass er sie nicht sehen, geschweige denn erreichen könnte. Selbst wenn er sie irgendwie herunter bekäme, wüsste er noch immer den Zahlencode nicht. Nur ich kenne die Kombination.“

Ein Kleidersack mit Wechselkleidung genug für zwei Tage hing auf dem Kleiderständer. Er schnappte ihn. Eine kleine Tasche gefüllt mit Toilettenartikeln in Reisegröße, Lesebrille, einigen Energie-Riegeln, und einem halben Duzend Dexedrine Pillen stand auf einem der Regalbretter. Auch diese griff er.

„Stets bereit, nicht wahr Luke? Deine Kiste mit Waffen und deine Klamotten-Tasche und deine Pillen und du bist bereit in jedem Moment zu gehen, sobald dich dein Land braucht. Habe ich nicht recht?“

Er holte tief Luft. „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.“

„Warum sagst du nicht: Ich habe mich dafür entschieden, nicht zu gehen. Ich habe mich dafür entschieden, dass meine Frau und mein Sohn mir wichtiger sind als mein Job. Ich will, dass mein Sohn einen Vater hat. Ich will nicht, dass meine Frau Nacht um Nacht sich schlaflos fragt, ob ich noch am Leben bin oder ob ich jemals zurückkomme. Kannst du dich das bitte einmal  fragen?“

In solchen Momenten spГјrte er die wachsende Distanz zwischen ihnen. Er konnte es fast sehen. Becca war ein winziger Schatten in einer unendlichen WГјste, der am Horizont zu verschwinden drohte. Er wollte sie zu sich zurГјckholen. Er wollte es so sehr, aber er wusste nicht wie. Die Arbeit rief.

„Geht Papa wieder weg?“ Beide erstarrten. Gunner stand auf dem Absatz der drei Stufen, die in sein Zimmer führten.

Luke verschlug es fГјr eine Sekunde den Atem, als er ihn sah. Er sah aus wie Christopher Robin aus Winnie Pooh. Seine blonden Haare standen in BГјscheln von seinem Kopf ab. Er trug eine blaue Schlafanzughose mit gelbem Mond und Sternen darauf sowie ein Walking Dead T-Shirt.

„Komm mal her du Monster.“ Luke stellte seine Taschen ab, ging zu seinem Sohn und hob ihn hoch. Der Junge umschlang seinen Hals. „Du bist das Monster Papa. Nicht ich. “Okay, ich bin das Monster.“ „Wohin gehst du?“ „Ich muss zur Arbeit für vielleicht ein oder zwei Tage. Aber ich werde so schnell wie möglich wieder zurück sein.“ „Wird Mama dich verlassen, so wie sie es gesagt hat?“ Luke hielt Gunner mit ausgestreckten Armen vor sich. Der Junge wuchs und Luke erkannte, dass er ihn bald so nicht mehr halten würde können. Aber dieser Tag war noch nicht gekommen. „Hör mir mal zu. Mama wird mich nicht verlassen und wir werden noch ganz lange alle zusammenbleiben. In Ordnung?“ „In Ordnung, Papa.“

Er stieg die Treppen herauf und verschwand in seinem Zimmer.

Nachdem er weg war, blickten sich die beiden an. Die Distanz erschien nun geringer. Gunner war wie eine BrГјcke zwischen ihnen.

„Luke…“

Er hob seine Hände. „Bevor du etwas sagst, will ich etwas sagen. Ich liebe dich und ich liebe Gunner, mehr als alles andere in der Welt. Ich will bei euch sein, jeden Tag, jetzt und immer. Ich gehe nicht, weil mir gerade danach ist. Mir ist ganz und gar nicht danach. Es ist mir zuwider. Aber dieser Anruf heute Nacht… das Leben von Menschen steht auf dem Spiel. Ich mache diesen Job nun schon so viele Jahre. In den Nächten, in denen ich so aufbrechen musste wie jetzt, lag Gefahrenstufe zwei vor, das war genauer gesagt zwei Mal. Meistens war es Stufe drei.“

Beccas Gesicht schien sich ein wenig zu entspannen. „Welche Gefahrenstufe ist es dieses Mal?“ fragte sie. „Stufe eins.“




Kapitel 2




1.57 Uhr

McLean, Virginia – Zentrale des Spezialeinsatzkommandos


„Verzeihen Sie?“, fragte jemand. „Verzeihen Sie, wir sind da.“

Luke fuhr hoch. Er richtete sich auf. Das Auto parkte bereits am Gate der Abflugstelle. Ein leichter Regen fiel. Er schaute zum Fahrer. Es war ein junger Mann mit kurz geschorenen Haaren, der wahrscheinlich gerade erst seinen Militärdienst abgeleistet hatte. Der Bursche lächelte.

„Sie sind eingedöst.“

„Wohl wahr“, sagte Luke. Das Gewicht seines Jobs machte sich bereits bemerkbar. Er wollte zurück nach Hause ins Bett mit Becca aber er war nun einmal hier. Er wollte in einer Welt leben, in der Schwerstverbrecher keine radioaktiven Materialien stahlen. Er wollte schlafen und von angenehmeren Dingen träumen. Gerade konnte er sich nicht einmal vorstellen, wie diese angenehmen Dinge aussehen könnten. Sein Schlaf war vergiftet, denn er wusste zu viel.

Er stieg mit seinen Taschen aus dem Auto, präsentierte dem Wächter seinen Ausweis und passierte den Scanner.

Der schwarz glänzende Bell 430 Helikopter stand auf der Startfläche, der Hauptrotor drehte sich bereits. Luke lief geduckt über den Asphalt auf den Helikopter zu, dessen Motor nun an Fahrt gewann. Sie waren zum Abflug bereit. Die Tür der Passagierkabine wurde aufgeschoben und Luke kletterte hinein.

Sechs Leute waren an Bord, vier in der Passagierkabine, zwei im Cockpit des Helikopters. Don Morris saГџ neben dem Fenster. Der Sitz gegenГјber von ihm war leer. Don deutete auf ihn.

„Ich bin froh, dass du gekommen bist, Luke. Setz dich. Willkommen im Team.“

Luke schnallte sich an, während der Helikopter gen Himmel wankte. Er blickte zu Don. Don war alt geworden, sein Flattop Haarschnitt grau. Seine Bartstoppeln waren grau. Sogar seine Augenbrauen waren grau. Dennoch sah er immer noch wie der Delta Force Kommandeur aus, der er einst gewesen war. Sein fester Körper hatte an nichts eingebüßt und sein Gesicht wirkte wie eine Wand aus Granit, dessen felsige Vorsprünge scharf abfielen. Seine Augen waren wie zwei Laser. In einer seiner steinernen Hände hielt er eine noch unangezündete Zigarre. Zehn Jahre lang hatte er keine mehr geraucht.

Als der Helikopter an Höhe gewann, folgte eine kurze Vorstellung der Leute in der Passagierkabine. „Luke du hast hier das Nachsehen, alle anderen hier wissen, wer du bist, aber du kennst die anderen wahrscheinlich noch nicht. Trudy Wellington kennst du, Wissenschafts- und Geheimdienstbeamter.“

Luke nickte der hübschen jungen Frau mit den schwarzen Haaren und der großen runden Brille zu. Er hatte mit ihr viele Male zusammengearbeitet. „Hallo Trudy.“

„Hallo Luke.“

„Okay ihr Turteltauben, soviel dazu. Das hier ist Mark Swann Luke, unser Computerexperte. Zusammen mit Ed Newsam zuständig für Waffen und Taktik.“

Luke nickte den Männern zu. Swann war weiß, hatte blondes Haar und trug eine Brille, er war vielleicht fünfunddreißig oder vierzig. Luke hatte ihn zuvor ein oder zwei Mal getroffen. Newsam war schwarz und Luke kannte ihn nicht, wahrscheinlich Anfang dreißig, barhäuptig, kurz-geschorener Bart, Muskeln wie gemeißelt und eine breite Brust, eine sechzig Zentimeter Python prangte auf seinem weißen T-Shirt. Er sah so aus, als hätte er jede Menge Schießereien hinter sich oder schlimme Straßenkämpfe. Mit „Waffen und Taktik“ meinte Don offensichtlich „Muskelkraft“.

Der Helikopter hatte seine endgültige Flughöhe erreicht; Luke schätzte etwa 3000 Meter. Der Helikopter brauchte einen Moment um sich auszutarieren und bewegte sich dann mit 240 Kilometern pro Stunde weiter. Gute neunzig Minuten konnten sie bei diesem Tempo auf New York City schauen.

„Trudy“, sagte Don. „Was kannst du uns sagen?“

Das Tablet in ihrer Hand leuchtete in der Dunkelheit der Kabine auf. Sie fixierte es. Ihr Gesicht wirkte in diesem Licht unheimlich, wie das eines Dämons.

„Ich starte einfach mal von ganz vorne“, sagte sie. „In Ordnung.“ Sie begann. „Vor weniger als einer Stunde hat uns die Anti-Terrorismus-Einheit der New Yorker Polizeidirektion kontaktiert. Es ging um ein großes Krankenhaus – das Center Medical Center – gelegen auf der Upper East Side von Manhattan. Dort lagert in einem Sicherheitsgewölbe in sechs Stockwerken Tiefe jede Menge radioaktives Material. Größtenteils handelt es sich dabei um Abfälle von Chemotherapien, andere Materialien kommen beispielsweise aus dem Röntgenbereich. Zu einem nicht genau festzustellenden Zeitpunkt in den letzten Stunden haben Unbekannte das Sicherheitssystem überlistet und den erwähnten radioaktiven Müll entfernt.“

„Wissen wir, um welche Menge es sich handelt?“ fragte Luke.

Trudy konsultierte ihr Tablet. „Das Material wird alle vier Wochen von einem LKW abgeholt und in eine Endlagerstätte im Westen Pennsylvanias gebracht, wo es unter der gemeinsamen Aufsicht vom Ministerium für Innere Sicherheit und der Umweltbehörde Pennsylvanias steht. Die nächste Ladung hätte in zwei Tagen abgeholt werden sollen.“

„Das heißt, es handelt sich um den radioaktiven Müll von etwa sechsundzwanzig Tagen“, sagte Don. „Wie viel ist das genau?“ „Das weiß das Krankenhaus nicht“, sagte Trudy. „Das wissen sie nicht?“ „Sie führen mit Hilfe einer Datenbank Buch über die Menge an Müll, die dort lagert. Nun, jemand hat sich Zugang zu der Datenbank verschafft und sie gelöscht. Je nach Behandlungsplan variieren die Mengen jeden Monat. Sie sind in der Lage mit Hilfe der Behandlungspläne die Listen wiederherzustellen, aber das kann noch ein paar Stunden dauern.“

„Sie haben keine Backup-Kopie?“, fragte Swann, der für die Technologie zuständig war.

„Haben sie, aber auch die wurde unschädlich gemacht. Die Daten des letzten Jahren fehlen somit.“

„Da weiß jemand, was er tut“, sagte Swann.

Luke ergriff das Wort. „Wie können wir wissen, dass es sich hier um einen Notfall handelt, wenn wir nicht einmal genau wissen, was gestohlen wurde?“

„Es gibt verschiedene Gründe“, sagte Trudy. „Das war nicht nur ein Diebstahl. Es handelt sich um einen wohlorganisierten und geplanten Angriff. Die Videoüberwachung in strategisch wichtigen Teilen des Krankenhauses wurde ausgeschaltet. Das schließt einige Ein- und Ausgänge, Treppenhäuser und Lastenaufzüge, das Sicherheitsgewölbe und das Parkhaus mit ein.“

„Hat schon jemand mit der Security gesprochen?“ fragte Luke.

„Die zwei Sicherheitsbeamten, die die Aufsicht für die Überwachung hatten, wurden beide tot in einem Ausrüstungsschrank aufgefunden. Sie hießen Nathan Gold, vierundfünfzig Jahre, männlich, weiß, geschieden, drei Kinder, keine bekannten Verbindungen zu organisierter Kriminalität oder Extremisten. Auch Kitty Faulkner, dreiunddreißig Jahre alt, weiblich, schwarz, unverheiratet hatte keine bekannten Verbindungen zu Extremismus oder organisierter Kriminalität. Faulkner hat acht Jahre dort gearbeitet. Beide Leichen wurden ohne Kleidung gefunden, von ihren Uniformen fehlt jede Spur. Beide wurden erwürgt, offenkundige Verfärbungen im Gesicht, Schwellungen, HWS Trauma, Würgemale von Strangulation oder Ähnlichem, die zum Tod geführt haben. Ich habe Fotos, falls ihr einen Blick darauf werfen wollt.“

Luke lehnte ab. „Ist okay. Lasst uns für den Moment annehmen, es handelt sich bei den Tätern um Männer. Tötet ein männlicher Täter eine Frau und zieht dann ihre Unform an?“

„Faulkner war für eine Frau recht groß“, sagte Trudy. „Sie war fast ein Meter achtzig und stämmig. Ein Mann hätte leicht in ihre Uniform gepasst.“

„Ist das alles, was wir haben?“

Trudy fuhr fort. „Nein. Ein Krankenhausmitarbeiter, der Schicht hatte, ist momentan nicht aufzufinden. Der Angestellte gehört zum Wachpersonal und heißt Ken Bryant. Er ist neunundzwanzig Jahre alt, schwarz, männlich und hat ein Jahr in Untersuchungshaft in Rikerts Islands gesessen und dann dreißig Monate in der Clinton JVA in Dannemora, New York. Er war wegen Diebstahl und einfacher Körperverletzung verurteilt. Nach seiner Entlassung hat er eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und ein Jobtraining abgeleistet. Er arbeitet seit fast vier Jahren im Krankenhaus und hat eine saubere Akte. Zuverlässig, keine Verhaltensauffälligkeiten.

„Als Wächter hat er Zugang zum Sicherheitsgewölbe wo der gefährliche Müll aufbewahrt wird und kennt außerdem die Sicherheitsabläufe des Krankenhauses und Personals. Er hatte Verbindungen zu Drogendealern und zu einer afroamerikanischen Gefängnisgang, der Black Gangster Family. Bei den Drogenhändlern handelt es sich um Kleinkriminelle aus der Nachbarschaft, in der er aufwuchs. Er hat sich wahrscheinlich aus Angst um die eigene Sicherheit auf diese Gefängnisgang eingelassen.“

„Du glaubst eine Gefängnis- oder Straßengang steckt dahinter?“

Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich erwähne Bryants Umgang nur, weil noch unklar ist, wo er steckt. Um eine Datenbank zu knacken und zu löschen und in ein Überwachungssystem einzudringen, das erfordert technisches Knowhow, das typischerweise nicht auf der Straße oder im Gefängnis erworben wird. Dieses Level an professioneller Herangehensweise und die Art der Beute lässt auf eine ruhende Terrorzelle schließen.“

„Was könnten sie mit den Chemikalien anfangen?“ fragte Don. „Die Warnhinweise auf den Materialien sind nicht zu übersehen“, sagte Trudy. „Eine schmutzige – eine radioaktive Bombe,“ sagte Luke. „Bingo. Welchen Grund könnte es sonst geben radioaktiven Müll zu stehlen? Das Krankenhaus hat keinen Schimmer, wie viel gestohlen wurde, aber sie wissen was es war. Iridium-192, Caesium-137, Tritium und Fluor sind unter den Chemikalien. Iridium ist höchst radioaktiv und in der Konzentration kommt es bei Kontakt zu Verbrennungen und Verstrahlungssymptomen innerhalb von Minuten oder Stunden. Experimente haben gezeigt, dass eine geringe Dosis Caesium-137 einen 20 Kilogramm schweren Hund innerhalb von drei Wochen töten kann. Fluor ist ein ätzendes Gas, das besonders für weiches Gewebe wie Augen, Haut und Lungen gefährlich werden kann. Geringe Dosen führen zu tränenden Augen. Eine hohe Konzentration schädigt die Lunge massiv und führt innerhalb von Minuten zum Tod durch Atemstillstand.“

„Na wunderbar”, sagte Don.

„Was für uns hier wichtig ist“, sagte Trudy „ist das Stichwort hohe Konzentrationen. Als Terrorist wirst du nicht versuchen, ein möglichst weitflächiges Gebiet zu finden. Das würde zu keinem wirksamen Kontakt mit den Stoffen führen. Du würdest eine Bombe mit dem radioaktiven Material bauen und sie mit konventionellen Sprengstoffen wie Dynamit kombinieren und du würdest sie in einem möglichst geschlossenen Gebiet detonieren lassen, mit vorzugsweise vielen Menschen. In einer überfüllten U-Bahn oder U-Bahn Station zur Hauptverkehrszeit. An Knotenpunkten des Pendlerverkehrs wie dem Grand Central Terminal oder der Penn Station. An einem großen Busbahnhof oder Flughafen. An einer Sehenswürdigkeit wie der Freiheitsstatue. Die Abgeschlossenheit wird die Strahlungskonzentration maximieren.“

Luke rief sich die enge Treppe, die zur Spitze der Freiheitsstatue führte, ins Gedächtnis. Jeden Tag war sie voller Menschen, meist Kinder auf Schulausflügen. Er sah Liberty Island vor seinem inneren Auge, wie die Insel mit tausenden Touristen gefüllt war, er sah die Fähren, die fast noch verstopfter waren als die Insel selbst, so wie Flüchtlingsboote aus Haiti.

Dann sah er die U-Bahnsteige des Grand Central Terminals morgens 7.30 Uhr, so voll von Pendlern, dass man kaum einen Platz zum Stehen fand. Ungefähr hundert Menschen würden auf den Treppen stehen und auf den nächsten Zug warten, der Menschen aufnehmen würde, um dem Bahnsteig Platz für die nächste Gruppe Menschen zu geben. Er stellte sich vor, wie eine Bombe in dieser Menge hochgehen würde.

Und dann die Lichter ausgingen.

Ein Welle Abscheu überrollte ihn. Es würden mehr Menschen in dem panischen Gedränge sterben, als durch die eigentliche Explosion.

Trudy fuhr fort. „Das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, ist, dass es zu viele potentielle Angriffsziele gibt. Außerdem muss die Attacke nicht notwendigerweise in New York stattfinden. Wenn der Diebstahl tatsächlich vor drei Stunden stattgefunden hat, dann haben wir bereits einen möglichen Operationsradius von wenigstens 240 Kilometern. Das schließt ganz New York City, seine Vororte, Philadelphia und alle größeren Städte in New Jersey, also Jersey City und Trenton mit ein. Wenn die Täter auch in der nächsten Stunde nicht gefasst werden, können wir den Radius bis Boston und Baltimore ausweiten. Die gesamte Region ist dich besiedelt. In einem Gebiet dieser Größenordnung können wir von Zehntausenden leicht verwundbaren Angriffszielen ausgehen. Selbst wenn sie sich an die bekanntesten Hausnummern halten würden, sprechen wir immer noch von mehreren Hundert.“

„Okay, Trudy“, sagte Luke. „Du hast die Faktenlage präsentiert. Was sagt euch jetzt euer Bauch?“

Trudy zuckte die Schultern. „Ich denke, dass wir davon ausgehen können, dass es sich um eine dreckige Bombe handelt, die im Zuge eines Anschlags zum Einsatz kommen soll und davon, dass dieser Anschlag mit Mitteln eines anderen Landes finanziert wird. Möglicherweise handelt es sich auch um eine unabhängige Terrororganisation wie ISIS oder Al-Qaida. Amerikaner und Kanadier mögen involviert sein, doch gesteuert wird die Sache von anderer Stelle. Es ist definitiv keine Gruppe, die ihre Wurzeln hier bei uns hat, wie im Falle von Umweltschützern oder weißen Rassisten.“

„Warum? Warum nicht von hier?“, fragte Luke. Er wusste bereits warum, aber es war wichtig, dass es auch ausgesprochen wurde, damit ein Schritt nach dem anderen gegangen werden konnte ohne etwas entscheidendes zu übersehen.

„Die Linken brennen Hummer Niederlassungen mitten in der Nacht nieder. Sie verhindern die Rodung von Wäldern und bemalen die Bäume, sodass niemand verletzt wird. Doch haben sie niemals auch nur den Versuch unternommen einen Anschlag auf eine dicht besiedelte Region zu verüben, geschweige denn jemanden umzubringen. Außerdem hassen sie alles, was mit Radioaktivität zu tun hat. Der rechte Flügel ist gewaltbereiter und Oklahoma City hat gezeigt, dass sie bereit sind die Zivilbevölkerung sowie Regierungswahrzeichen anzugreifen. Aber keine der Gruppen hätte das notwendige Training hierfür. Und es gibt einen anderen Grund, warum sie es wahrscheinlich nicht sind.“

„Und der wäre?“, fragte Luke.

„Iridium hat eine sehr kurze Halbwertszeit“, sagte Trudy. „Der Großteil wird in wenigen Tagen nutzlos sein. Wer auch immer diese Chemikalien gestohlen hat, muss schnell handeln, bevor sie selbst Opfer der Verstrahlung werden. Für die Muslime beginnt heute bei Sonnenuntergang der heilige Monat Ramadan. Ich denke, wir haben es hier mit einem Anschlag zu tun, der absichtlich so gelegt ist, dass er mit dem Beginn des Ramadans zusammenfällt.“

Luke atmete schon fast erleichtert aus. Er kannte Trudy seit einigen Jahren und hatte mit ihr zusammengearbeitet. Ihre Informationen waren immer gut und ihre Fähigkeit in Zusammenhängen zu denken war außergewöhnlich. Sie hatte viel öfter Recht, als dass sie daneben lag.

Er sah auf seine Uhr. Es war 3.15 Uhr. Die Sonne würde heute wahrscheinlich gegen 20 Uhr untergehen. Er stellte eine schnelle Berechnung an. „Du denkst also, wir haben mehr als sechzehn Stunden zur Verfügung, um diese Leute aufzuspüren?“

Sechzehn Stunden. Nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen war die eine Sache. Aber sechzehn Stunden dafГјr zur VerfГјgung zu haben samt der allerbesten Leute und Technologie war eine andere. Es war fast zu viel zu hoffen.

Trudy schüttelte ihren Kopf. „Nein. Das Problem ist, dass Ramadan mit Sonnenuntergang beginnt, aber mit welchem? In Teheran wird die Sonne heute um 20.24 untergehen, 10.54 Uhr unserer Zeit. Aber was wäre, wenn sie sich auf den Beginn des Ramadan anderswo beziehen würden, zum Beispiel den in Malaysia oder Indonesien? Das hieße für uns 7.24 Uhr morgens, was nicht völlig abwegig wäre, denn das ist der Beginn der Hauptverkehrszeit.“

Luke schnaubte. Er stierte durch das Fenster auf die weite Lichterflut der grenzenlosen Stadt unter ihm. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr. 3.20 Uhr. Vor ihm am Horizont konnte er die hohen Gebäude Lower Manhattans sehen und dort die zwei blauen Lichtstrahle, die anstelle des einstigen World Trade Center hoch in die Luft ragten. In drei Stunden würden die U-Bahnen und Zugstationen sich mit Pendlern zu füllen beginnen.

Und irgendwo dort draußen waren Menschen, die Pläne schmiedeten, diese Pendler sterben zu lassen.




Kapitel 3




3.35 Uhr

Manhattans East Side


„Sieht aus wie ein Haufen Ratten“, sagte Ed Newsam.

Der Helikopter flog dicht Гјber dem East River. Das dunkle Wasser war unter ihnen, es floss eilig, kleine Wellen ritten darauf. Luke konnte sehen, was Ed meinte. Das Wasser sah aus wie eine riesige Ansammlung Ratten, die unter einer schimmernden Decke davonrannten.

Der Helikopter landete behutsam auf der vierunddreißigsten Straße. Luke erkannte die Lichter der Gebäude zu seiner Linken, ein Juwelenmeer in der Nacht. Jetzt da sie hier waren, durchdrang ihn ein Gefühl von Dringlichkeit. Sein Herz stolperte. Er war während des langen Fluges still gewesen, was sonst hätte er tun können? Doch die Uhr tickte und sie mussten sich an die Arbeit machen. Er wartete ungeduldig auf die Landung des Helikopters.

Er landete mit einem Poltern, im selben Moment lösten die Insassen ihre Gurte. Don riss die Tür auf. „Auf geht es“, sagte er. Der Absperrschieber zur Straße befand sich etwa achtzehn Meter vom Landungsort entfernt. Drei Geländewagen warteten bereits vor den Betonbarrieren. Eine Spezialeinheit der New Yorker Polizei rannte zum Helikopter und entlud das Equipment. Ein Mann nahm auch Lukes zwei Taschen aus dem Helikopter.

„Vorsicht mit den zwei Taschen,“ sagte Luke. „Als ich das letzte Mal hier war, habt ihr meine Taschen verbummelt. Ich werde keine Zeit für eine Einkaufstour haben.“

Luke und Don kletterten in den ersten Geländewagen, Trudy schlüpfte ebenfalls hinein. Der Geländewagen war recht breit, sodass ein Innenraum mit gegenüberliegenden Sitzen entstand. Luke und Don blickten nach vorne, Trudy nach hinten. Der Geländewagen bewegte sich Richtung Ausgang noch bevor sie Platznehmen konnten. Es verging keine Minute und sie rasten durch die enge Schlucht des FDR Drive gen Norden. Gelbe Taxis brausten wie ein Schwarm Bienen aus allen Richtungen an ihnen vorbei.

Niemand sprach ein Wort. Der Geländewagen preschte voran, schmiegte sich in die Kurven, fuhr unter bröckelnden Bauten durch Tunnelschächte und schepperte über Schlaglöcher. Luke konnte das Herz in seiner Brust schlagen fühlen. Aber nicht die Fahrt trieb seinen Puls in die Höhe. Es war die Erwartung.

„Es wäre nett, hier einmal zum Spaß herzukommen,“ sagte Don. „In einem schönen Hotel übernachten und vielleicht eine Broadway Show sehen.“

„Nächstes Mal,“ sagte Luke.

Er konnte sehen, dass der Wagen bereits den Highway verließ. Es war die Abfahrt zur sechsundneunzigsten Straße. Der Fahrer bremste nachlässig an einer roten Ampel, bog links ab und steuerte auf einen leeren Boulevard zu.

Luke sah wie der Wagen in den kleinen Kreisverkehr vor dem Krankenhaus donnerte. Sie kamen direkt vor den hellen Lichtern der Notaufnahme zum stehen. Ein Mann in einem Dreiteiler wartete bereits auf sie.

„Elegante Erscheinung,“ sagte Luke.

Don bohrte seinen Finger in Lukes Arm. „Luke, wir haben eine kleine Überraschung für dich vorbereitet. Wann hattest du das letzte Mal einen Schutzanzug an?“




Kapitel 4




4.11 Uhr

Untergeschoss Center Medical Center, Upper East Side


„Nicht so fest,“ sagte Luke, aus dessen Mund ein Plastikthermometer ragte.

Trudy hatte die Manschette eines tragbaren Blutdruckmessgeräts um sein Handgelenk geschlungen. Sie umschloss sein Handgelenk immer fester bis der Druck mit einem zischenden Geräusch langsam wieder nachließ. Trudy öffnete den Klettverschluss der Manschette und zog ihm im selben Atemzug das Thermometer aus dem Mund.

„Wie sieht es aus?“ fragte er.

Sie blickte auf die Anzeige. „Hoher Blutdruck,“ sagte sie. „138 über 85. Ruhepuls 97. Körpertemperatur 38 Grad. Ich werde dir nichts vormachen Luke. Die Werte könnten besser sein.“

„Ich hatte ziemlich viel Stress in der letzten Zeit,“ sagte Luke. Trudy zuckte mit den Schultern. „Dons Werte sind besser als deine.“ „Ja gut, aber er nimmt auch Cholesterinpillen.“ Luke und Don saßen in Boxershorts und T-Shirt zusammen auf einer Holzbank. Sie befanden sich in einer unterirdischen Lagerräumlichkeit unter dem Krankenhaus. Schwere Vinylvorhänge schlossen den Bereich ab und umschlossen die Beiden. Es war kalt und feucht hier unten und ein kalter Schauder fuhr Luke den Rücken herunter. Das betroffene Sicherheitsgewölbe befand sich noch zwei weitere Stockwerke tiefer.

Menschen liefen durch die Gegend. Ein paar Beamte der Spezialeinheit aus dem New Yorker BГјro waren unter ihnen. Sie hatten zwei Klapptische fГјr einige Laptops und Monitore aufgestellt. Der Typ im Dreiteiler stand auch dort. Es hatte sich herausgestellt, dass er ein Geheimdienstmitarbeiter der New Yorker Anti-Terrorismus Einheit war.

Ed Newsam, der für schwere Waffen und Taktik zuständig war und den Luke im Helikopter getroffen hatte, kam durch die Vinylvorhänge mit zwei Beamten der Spezialeinheit im Schlepptau. Beide trugen jeweils ein durchsichtiges verschlossenes Packet mit hellgelbem Inhalt.

„Achtung!“ rief Newsam und unterbrach das Stimmengewirr. Er zeigte mit zwei Fingern auf seine eigenen Augen. „Don, Luke Augen bitte hierher.“

Newsam hielt in jeder Hand eine Wasserflasche. „Ich weiß, dass ihr beide das schon kennt, aber wir werden so tun, als wäre es das erste Mal für euch, so können wir sicher gehen, dass keine Fehler gemacht werden. Diese Männer hinter mir werden eure Anzüge inspizieren und euch dann helfen, sie anzulegen. Es handelt sich um Schutzanzüge der Stufe A aus solidem Vinyl. Ihr werdet ordentlich ins Schwitzen kommen, wenn ihr sie tragt. Bevor wir anfangen, bitte ich euch deshalb diese Wasserflaschen auszutrinken. Ihr werdet später froh darüber sein.“

„Ist schon irgendjemand vor uns dort unten gewesen?“ fragte Luke.

„Zwei Wächter waren unten, nachdem der Sicherheitsverstoß bemerkt worden war. Das Licht funktioniert nicht. Swann hat versucht es zu reparieren, hatte aber kein Glück damit. Es wird also dunkel sein. Die Wächter hatten Taschenlampen dabei, allerdings haben sie schnell wieder kehrt gemacht, als sie das Gewölbe offen und Kanister und Behälter verstreut vorfanden.“

„Haben sie was abbekommen?“

Newsam lächelte. „Ein bisschen. Meine Töchter werden sie für ein paar Tage als Nachtlicht nutzen. Sie trugen keine Anzüge, waren aber nur für einen kurzen Moment dort. Ihr werdet wesentlich länger dort unten bleiben.“

„Werdet ihr sehen können, was wir sehen?“

„An euren Kappen sind Videokameras und LED Lichter befestigt. Ich werde sehen, was ihr seht und ich werde es aufnehmen.“

Es dauerte zwanzig Minuten, die Anzüge anzulegen. Luke war frustriert. Es war schwierig, sich in dem Anzug zu bewegen. Er war von Kopf bis Fuß in Vinyl gekleidet und die Temperatur im Anzug fing bereits an zu steigen. Sein Gesichtsschutz beschlug. Die Zeit schien nur so davonzufliegen. Die Diebe mussten längst weit weg sein.

Er und Don nahmen gemeinsam den Lastenaufzug. Er fuhr langsam und knarrend nach unten. Don trug den Geiger-Müller-Zähler. Der sah aus wie eine kleine Autobatterie mit Handgriff.

„Könnt ihr mich gut hören?“ fragte Newsam. Es klang für Luke wie eine Stimme in seinem Kopf. Die Kappen hatten eingebaute Lautsprecher und Mikrophone.

„Ja,“ sagte Luke. „Ich kann dich hören,“ sagte Don. „Gut. Ich höre euch beide klar und deutlich. Wir sind auf geschlossener Frequenz unterwegs. Die einzigen die Zugang haben seid ihr, ich und Swann oben im Kontrollraum. Swann hat Zugang zu einer digitalen Karte der Einrichtung und eure Anzüge haben eine Tracking-Vorrichtung. Swann kann euch also auf seiner Karte sehen und er wird euch anweisen, wie ihr vom Fahrstuhl zum Gewölbe kommt. Bist du da Swann?“

„Bin hier,“ sagte Swann. Der Fahrstuhl kam ruckartig zum Stehen. „Wenn die Türen sich öffnen, geht raus und biegt nach links ab.“ Die zwei Männer bewegten sich unter den Anweisungen Swanns ungelenk in Richtung eines breiten Flurs. Das Spiel ihrer Helmlichter an der Wand ließ Schatten in der Dunkelheit entstehen. Luke erinnerten sie an Schiffswracks, die er bei einigen Tauchausflügen vor Jahren gesehen hatte. Nach wenigen Sekunden fing der Geiger-Zähler an zu klicken. Zunächst waren die Pausen zwischen den Klicken recht groß, wie ein langsamer Herzschlag.

„Wir haben Strahlung,“ sagte Don. „Das sehen wir. Keine Sorge. Es ist nicht schlimm. Es ist ein sensibles Instrument, das ihr da habt.“ Das Klicken wurde schneller und lauter. Swanns Stimme sagte: „In ein paar Metern biegt ihr rechts ab, dann folgt ihr dem Flur noch etwa zehn Meter. Dann kommt ein großer quadratischer Raum. Das Sicherheitsgewölbe ist auf der anderen Seite dieses Raums.“ Sie bogen rechts ab und der Geiger-Zähler legte an Lautstärke und Geschwindigkeit weiter zu. Das Klicken schwoll an und die einzelnen Schläge waren kaum noch voneinander zu unterscheiden. „Newsam?“

„Nur zu. Wir sollten versuchen das in fünf Minuten oder weniger hinter uns zu bringen.“

Sie betraten den Raum. Er sah wüst aus. Auf dem Boden lagen umgeworfene Kanister, Boxen und große Metallbehälter. Einige waren offen. Luke richtete sein Licht auf das Gewölbe auf der anderen Seite des Raums. Die schwere Tür stand offen.

„Siehst du das?“ fragte Luke. „Godzilla muss hier gewütet haben.“

Newsams Stimme meldete sich wieder. „Don! Don! Leuchte mit deinem Licht mal auf den Boden, anderthalb Meter vor dir. Dort. Ein bisschen weiter noch. Was ist da auf dem Boden?“

Luke trat neben Don und richtete seine Lampe auf dieselbe Stelle. Etwa drei Meter vor ihnen, inmitten der VerwГјstung, lag etwas verstreut, das aussah wie ein Haufen von Fetzen.

„Das ist ein Körper,“ sagte Don. „Scheiße.“

Luke stellte sich dazu und richtete sein Lampe auf die Überbleibsel. Die Person war groß und trug etwas, das wie eine Wächteruniform aussah. Luke kniete sich neben den Körper. Er entdeckte einen dunklen Fleck, der leckendem Motoröl unter einem Auto glich. Der Kopf war zur Seite gedreht und schaute zu ihm. Alles oberhalb der Augen war nicht mehr, was einst seine Stirn gewesen war, bildete nun einen Krater. Luke umfasste den Hinterkopf und taste dort nach einem viel kleineren Loch. Trotz seiner dicken Handschuhe fand er es.

„Was hast du gefunden Luke?“

„Einen großen Mann, zwischen achtzehn und dreißig Jahre alt, arabischer, persischer oder südländischer Abstammung. Hier ist jede Menge Blut. Er hat Ein- und Austrittswunden, die mit einem Nackenschuss konsistent sind. Sieht wie eine Hinrichtung aus. Es könnte eine weitere Person des Wachpersonals sein oder jemand, der einen Streit mit seinen Freunden hatte.“

„Luke,“ sagte Newsam. „In deinem Gürtel befindet sich ein kleiner digitaler Scanner für Fingerabdrücke. Schau mal, ob du den findest und damit einen Fingerabdruck von dem Typen nehmen kannst.“

„Ich glaube nicht, dass das möglich ist,“ sagte Luke.

„Komm schon. Die Handschuhe sind nervig aber ich weiß, wo der Scanner ist. Ich werde es dir beschreiben.“

Luke richtete seine Kamera auf die rechte Hand des Mannes. Alle Finger waren unterhalb des ersten Knöchels verstümmelt worden. Er warf einen Blick auf die andere Hand. Die sah nicht besser aus.

„Sie haben die Fingerabdrücke mitgenommen,“ sagte er.




Kapitel 5


Wieder in ihrer Straßenkleidung liefen Luke und Don zusammen mit einem Beamten der New Yorker Anti-Terrorismus-Einheit im Eiltempo den Flur des Krankenhauses entlang. Luke hatte nicht einmal den Namen des Beamten aufgeschnappt. Für ihn war er einfach Dreiteiler. Luke war dabei dem Beamten Anordnungen zu geben. Dinge mussten ins Rollen gebracht werden und dafür benötigten sie die Unterstützung der Stadt.

Luke Гјbernahm diesen Job, das lag in seiner Natur. Er blickte zu Don und Don nickte ihm zustimmend zu. Genau deshalb hatte Don Luke mit ins Boot geholt, damit er die Richtung vorgab. Don sagte immer, dass Luke der geborene Quarterback sei.

„Ich will Geiger-Zähler auf allen Etagen,“ sagte Luke. „Aber so, dass niemand sie sieht. Wir sind erst im sechsten Untergeschoss auf Strahlung gestoßen, aber sie beginnt sich nach oben auszubreiten und das ziemlich schnell.“

„Das Krankenhaus hat Patienten mit lebenserhaltenden Maßnahmen,“ sagte Dreiteiler. „Die sind also nur bedingt verlegbar.“ „Genau. Also fang an, die Logistikhebel in Gang zu setzen.“ „Okay.“ Luke fuhr fort. „Wir brauchen ein ganzes Team in Sicherheitsanzügen dort unten. Wir müssen die Leiche hier hochholen, egal wie kontaminiert sie ist und wir müssen uns beeilen. Das Aufräumteam kann warten, bis wir die Leiche haben.“

„Alles klar,“ sagte Dreiteiler. „Wir werden sie in einem mit Blei ausgekleideten Sarg transportieren, der dann in einem strahlungssicheren Transporter zur Gerichtsmedizin gebracht wird.“

„Kann das bitte ohne großes Aufsehen vonstatten gehen?“ „Sicher.“ „Wir brauchen einen Gebissabdruck für einen Datenbankabgleich, DNA, Narben, Tattoos, Implantate, was auch immer ihr findet. Wenn ihr alles zusammen habt, schickt Trudy Wellington aus unserem Team alles rüber. Sie hat Zugang zu Datenbanken, zu denen eure Leute keinen haben.“

Luke zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Sie nahm beim ersten Klingeln ab. „Trudy, wo bist du?“ „Ich bin mit Swann auf der Fifth Avenue, auf der Rückbank einer unserer Wagen, auf dem Weg zur Kommandozentrale.“ „Hör zu, ich bin hier mit…“ Er blickte Dreiteiler an. „Wie heißen Sie?“ „Kurt. Kurt Myerson.“ „Ich bin hier mit Kurt Myerson von der New Yorker Polizeibehörde. Er ist von der Anti-Terrorismus-Einheit. Sie werden die Leiche hochholen. Ich will, dass du mit ihm für die Überprüfung von Gebiss, DNA und anderen potentiellen Identifizierungsmerkmalen in Kontakt stehst. Wenn du die Informationen von ihm hast, will ich Namen, Alter, Herkunftsland, Verbindungen und so weiter von dem Typen haben. Ich muss wissen, wo er gewesen ist und was er in den letzten sechs Monaten getrieben hat. Und ich brauche das alles quasi gestern.“

„Geht klar, Luke.“ „Sehr gut. Danke. Hier ist Kurt, er wird dir seine Durchwahl geben.“ Luke reichte Kurt das Handy. Die drei Männer drangen durch die Doppeltür, sie verloren dabei kaum an Tempo. Einen Moment später gab Kurt ihm das Handy zurück. „Trudy? Bist du noch dran?“ „Wo sollte ich sonst sein?“ Luke nickte. „Gut. Eines noch. Die Überwachungskameras hier im Krankenhaus sind zwar aus, aber in der näheren Umgebung muss es noch andere Kameras geben. Wenn du in der Kommandozentrale bist, nimm dir ein paar unserer Leute. Sie sollen alles im fünf Block Radius des Krankenhauses durchkämmen und das Videomaterial von sagen wir 8 Uhr bis 13 Uhr durchgehen. Ich will genau wissen, welche Lieferfahrzeuge in diesem Zeitraum in der Nähe des Krankenhauses waren. Der Fokus sollte auf kleinen Lastwagen, Transportern von Backwaren, Hot Dog Buden und ähnlich Geartetem liegen. Alles, was klein und praktisch ist und verpackte Waren transportiert. Geringere Priorität haben Sattelschlepper, Busse oder Baufahrzeuge, trotzdem auch die überprüfen. Geringe Priorität haben Wohnwagen, Pickup-Trucks und Geländewagen. Ich will einen Abzug der Nummernschilder und die Namen der Besitzer der Fahrzeuge. Wenn irgendetwas seltsam erscheint, sucht nach mehr Kameras und erweitert den Radius, um herauszufinden, wohin der Wagen gefahren ist.“

„Luke,“ sagte sie, „ich werde mehr Leute brauchen.“

Luke dachte zwei Sekunden nach. „Okay. Mach ein paar Leute wach, bring sie in die Zentrale des Spezialeinsatzkommandos und schick ihnen die Nummernschilder. Sie werden die Fahrzeughalter ermitteln.“

„Alles klar.“

Sie legten auf. Luke besann sich und ein neuer Gedanke erschien ihm. Er blickte zu Kurt Myerson hinГјber.

„In Ordnung, Kurt. Nun das Allerwichtigste. Wir müssen das Krankenhaus zumachen. Alle Angestellten, die heute Abend Schicht hatten, sollen zusammenkommen und müssen überprüft werden. Die Leute werden reden, das verstehe ich, aber wir müssen das aus den Medien raushalten so lange wir können. Wenn das rauskommt, wird Panik ausbrechen, zehntausende falsche Hinweise werden bei der Polizei eingehen und die bösen Jungs werden vor dem Fernseher sitzen und alle Entwicklungen mitverfolgen. Das können wir nicht geschehen lassen.“

Sie drangen durch eine weitere Doppeltür in die Hauptlobby des Krankenhauses. Die gesamte Front der Lobby war aus Glas. Mehrere Sicherheitsbeamte standen in der Nähe des abgeschlossenen Haupteingangs.

Draußen war eine Menschentraube zu erkennen. Ein Haufen Reporter versuchte, die Polizeibarrieren aufzubrechen. Fotografen pressten sich gegen die Fenster und schossen Innenaufnahmen der Lobby. Unzählige Nachrichtensender parkten auf der Straße. Luke sah drei verschiedene Fernsehreporter Teile ihrer Berichterstattung direkt vor dem Eingang des Krankenhauses filmen.

„Was haben Sie gerade gesagt?“




Kapitel 6




5.10 Uhr

In einem Lieferwagen


Er saГџ auf der RГјckbank des Lieferwagens, umklammerte seine Beine und fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte. Er hatte im Knast ein paar extreme Sachen gesehen, aber nichts dieser Kategorie.

Vor ihm saß Ezatullah, er telefonierte lautstark mit jemandem auf Farsi. Ezatullah war jetzt schon seit mehreren Stunden am Telefon. Für Eldrick ergaben die Worte keinen Sinn. Alles klang nach Kauderwelsch. Was er wusste war, dass Ezatullah in London eine Ausbildung zum Chemotechniker gemacht hatte, doch anstatt danach einen Job zu suchen, war er in den Krieg gezogen. Er war Anfang dreißig, eine breite Narbe prangte auf seiner Wange, er sagte von sich selbst, dass er den Jihad in ein halbes Dutzend Länder gebracht hatte und nun nach Amerika gekommen war, um das gleiche hier zu tun.

Er brüllte immer wieder in den Hörer, bevor er durchkam. Als er endlich jemanden erreichte, stimmte er gleich das Erste mehrerer Wortgefechte an. Nach einigen Minuten wurde er ruhiger und lauschte. Dann legte er auf.

Eldricks Gesicht war gerötet. Er hatte Fieber. Er fühlte das Brennen in seinem Körper. Sein Herz raste. Er hatte sich noch nicht übergeben, aber er fühlte, dass er es bald würde. Sie hatten bereits zwei Stunden am Treffpunkt im Hafengebiet der Süd-Bronx gewartet. Es sollte eine einfache Sache sein. Das Material klauen, den Lieferwagen zehn Minuten fahren, die Kontaktpersonen treffen und sich verziehen. Aber die Kontaktpersonen tauchten nicht auf.

Sie waren jetzt… irgendwo. Eldrick wusste es nicht. Er hatte für eine Weile nichts mitbekommen. Jetzt war er wieder wach, aber alles schien nur wie ein undeutlicher Traum. Sie waren auf dem Highway. Momo fuhr, er musste also wissen, wohin es ging. Dürr ohne eine sich abzeichnende Muskelpartie entsprach Momo dem, was man sich unter einem Computerexperten vorstellte. Er war so jung, dass seine Haut kein einziges Fältchen aufzeigte. Er sah so aus als würde ihm niemals ein Bart wachsen, auch wenn Allah selbst davon abhinge.

„Wir haben neue Anweisungen,“ sagte Ezatullah. Eldrick ächzte und wünschte sich seinen Tod herbei. Er hatte nicht gewusst, dass es möglich war, sich so krank zu fühlen. „Ich muss mal hier raus,“ sagte Eldrick. „Halts Maul, Abdul!“ Eldrick hatte vergessen, dass sein Name nun Adbul Malik war. Es war seltsam, so genannt zu werden, Abdul, er, Eldrick, stolzer schwarzer Mann und stolzer Amerikaner die größte Zeit seines Lebens. So krank wie er sich jetzt fühlte, wünschte er sich, dass es zu all diesen Veränderungen nie gekommen wäre. Im Knast zu konvertieren, war die dümmste Idee, die er jemals gehabt hatte.

Der ganze Mist war hinten drinnen. Es gab reichlich, in allmöglichen Arten von Kanistern und Behältern. Einige waren ausgelaufen und nun brachte es sie um. Es hatte Bibi bereits getötet. Der Dummkopf hatte einen Kanister geöffnet, als sie noch unten im Gewölbe gewesen waren. Er war stark und konnte den Deckel öffnen. Warum hat er das getan? Eldrick sah ihn noch vor sich, wie er den Kanister hochhielt. „Da ist nichts drinnen,“ hatte er gesagt. Dann hatte er seine Nase reingesteckt.

Nach einer Minute finge er an zu husten. Er fiel regelrecht auf seine Knie. Dann auf alle viere, immer noch hustend. „Ich hab was in meinen Lungen,“ sagte er. „Es geht nicht weg.“ Er fing an nach Luft zu japsen. Das Geräusch war furchterregend.

Ezatullah ging zu ihm und schoss ihm in den Hintekopf. „Glaubt mir, ich habe ihm einen Gefallen getan,“ sagte er. Der Lieferwagen fuhr nun durch einen Tunnel. Der Tunnel war lang und eng und dunkel, orange Lichter schwirrten an der Decke vorbei. Die Lichter erregten ein Schwindelgefühl bei Eldrick.

„Ich muss hier raus!“ rief er. „Ich muss hier raus! Ich muss…“ Ezatullah drehte sich zu ihm um. Er hatte seine Waffe. Er richtete sie auf Eldricks Kopf. „Ruhe jetzt! Ich telefoniere.“ Ezatullahs geschlitztes Gesicht war rot. Er schwitzte.

„Wirst du mich genauso umbringen, wie du Bibi umgebracht hast?“

„Ibrahim war mein Freund,“ sagte Ezatullah. „Ich habe ihn aus Gnade umgebracht. Dich werde ich umbringen, nur damit du die Klappe hältst.“ Er presste die Mündung der Waffe gegen Eldricks Stirn.

„Erschieß mich. Es ist mir egal.“ Eldrick schloss seine Augen.

Als er sie wieder öffnete, hatte sich Ezatullah wieder nach vorne gedreht. Sie waren noch immer im Tunnel. Die Lichter waren zu viel. Eine Welle Übelkeit überkam Eldrick, und sein Körper wurde von heftigen Zuckungen geschüttelt. Sein Magen zog sich zusammen und er schmeckte die Säure in seinem Hals. Er beugte sich vornüber und übergab sich auf den Boden zwischen seinen Schuhen.

Ein paar Sekunden vergingen. Der Geruch schlug ihm ins Gesicht und er wГјrgte. Oh Gott, bat er stillschweigend. Bitte lass mich sterben.




Kapitel 7




5.33 Uhr

East Harlem, Bezirk Manhattan


Luke hielt den Atem an. Laute Geräusche waren nicht sein Ding und er wusste, dass es gleich sehr laut würde.

Er stand bewegungslos im schwachen Licht eines Mietshauses in Harlem. Er hatte seine Waffe gezogen, seinen RГјcken an die Wand gepresst. Hinter ihm stand Ed Newsam in fast der gleichen Pose. Vor ihnen stand auf jeder Seite der WohnungstГјr ein halbes Dutzend SWAT Teammitglieder in Helmen und Schutzwesten.

Das Gebäude war totenstill. Staubpartikel hingen in der Luft. Kurz zuvor hatte ein kleiner Roboter eine winzige Kamera unter der Tür durchgeschoben, um eventuelle Sprengsätzen auf der anderen Seite auszumachen. Negativ. Der Roboter war gerade zurückgekommen.

Zwei Männer des SWAT-Teams traten nun mit einem schweren Rammbock heran. Es war einer dieser schwingenden Böcke, jeweils ein Beamter hielt ihn an einem Griff auf jeder Seite. Sie machten keinerlei Geräusche. Der Leiter des SWAT-Teams hob seine Faust in die Höhe. Sein Zeigefinder schnellte nach oben. Das war eins. Mittelfinger. Zwei. Ringfinger… Die zwei Männer holten Schwung und stießen zu. BUMM! Die Tür zersplitterte und die Männer duckten sich. Die vier anderen schwärmten hinein. Plötzlich schrie jemand, „Runter! Runter! Duckt euch!“ Irgendwo weiter unten im Gang fing ein Kind an zu weinen. Türen öffneten sich, Köpfe lugten heraus und wurden wieder zurückgezogen. Es war eines dieser Dinge hier. Manchmal kam die Polizei und brach in die Wohnung des Nachbarn ein.

Luke und Ed warteten etwa dreißig Sekunden bis das SWAT Team die Wohnung gesichert hatte. Die Leiche lag auf dem Boden im Wohnzimmer, genauso wie Luke es vermutet hatte. Er schaute kaum hin. „Alles klar?“ sagte er zum Leiter des SWAT-Teams. Er schaute Luke ein wenig finster an. Es hatte zuvor eine kurze Auseinandersetzung gegeben, als Luke dem Team Anweisungen geben wollte. Die Jungs waren von der New Yorker Polizeibehörde. Sie waren keine Schachfiguren, die sich von anderen FBI-Agenten einfach so herumkommandieren ließen. Das wollten sie Luke wissen lassen. Das war kein Problem für Luke, aber eine Terrorattacke war keine Situation, in der jemand irgendetwas einfach so tat.

„Alles klar,“ sagte der Leiter. „Das ist dann wohl Ihr Fachgebiet hier.“ „Danke,“ sagte Luke. Er zuckte mit den Schultern und wendete seinen Blick ab. Ed kniete neben der Leiche. Er hatte einen Scanner für Fingerabdrücke dabei. Er nahm Abdrücke von drei Fingern. „Was denkst du, Ed?“ Er hob die Schultern. „Ich habe Ken Byrants Abdrücke aus der Polizeidatenbank dabei. Wir sollten in ein paar Sekunden wissen, ob er es ist. So weit haben wir offenkundige Würgemale und Schwellungen. Der Körper ist noch ein wenig warm. Die Totenstarre hat eingesetzt, hat sich aber noch nicht vollständig ausgebreitet. Die Finger werden langsam blau. Ich würde sagen, dass er auf die gleiche Weise wie die Wächter im Krankenhaus gestorben ist, durch Erwürgen, vor ungefähr acht bis zwölf Stunden.“

Er sah zu Luke hoch. Er hatte ein Flackern in seinen Augen. „Wenn du seine Hose runterziehst, kann ich die Temperatur nehmen und die Tatzeit ein bisschen weiter eingrenzen.“

Luke lächelte und schüttelte seinen Kopf. „Nein danke. Acht bis zwölf Stunden ist ausreichend. Sag mir nur, ist er es?“

Ed warf einen Blick auf den Scanner. „Byrant? Jap. Er ist es.“

Luke holte sein Handy heraus und wählte Trudys Nummer. Am anderen Ende klingelte es. Einmal, zweimal, dreimal. Luke blickte um sich durch die düstere Finsternis der Wohnung. Die Wohnzimmereinrichtung war alt, die Polster zerrissen und die Unterstopfung der Armlehnen des Sofas quellte heraus. Ein abgenutzter Teppich bedeckte den Boden, leere Takeaway-Boxen und Plastikutensilien lagen auf dem Tisch verstreut. Schwere schwarze Vorhänge waren über den Fenstern befestigt.

Trudys Stimme ging ran, munter fast singend. „Luke,“ sagte sie. „Wie lange ist es her? Eine halbe Stunde?“

„Ich rufe wegen der vermissten Reinigungskraft an.“ „Ken Byrant,“ sagte sie. „Genau. Wir haben ihn gefunden. Newsam und ich sind in seiner Wohnung. Wir haben übereinstimmende Fingerabdrücke. Er ist vor etwa acht bis zwölf Stunden gestorben. Erwürgt, wie die Wächter.“ „Okay,“ sagte sie.

„Ich will, dass du dir sein Bankkonto ansiehst. Wahrscheinlich hat ihn das Krankenhaus per Überweisung bezahlt. Fang damit an und arbeite dich von dort aus durch.“

„Mmh, ich werde dafür eine Genehmigung brauchen.“

Luke machte eine Pause. Er verstand, warum sie zögerte. Trudy war eine gute Beamtin. Sie war jung und ambitioniert. Nicht wenigen hatte es die vielversprechende Karriere gekostet, Regeln zu brechen. Aber nicht immer. Manches Mal hatte es auch zu einer unverzüglichen Beförderung geführt. Es hing alles davon ab, wessen Regeln man brach und was letztlich dabei herauskam.

„Ist Swann bei dir?“ fragte er. „Ja.“ „Dann brauchst du keine Genehmigung.“ Sie gab keine Antwort.

„Trudy?“ „Ich bin da.“ „Wir haben keine Zeit, um Genehmigungen einzuholen. Menschenleben sind in Gefahr.“ „Ist Byrant in diesem Fall ein Verdächtiger?“ „Er ist von Interesse. Und er ist sowieso tot. Wir verletzen wohl kaum seine Rechte.“ „Ist das eine Anordnung von dir, Luke?“ „Das ist eine direkte Anweisung,“ sagte er. „Ich übernehme die Verantwortung. Wenn du so willst, teile ich dir hiermit mit, dass dein Job von der Befolgung dieser Anordnung abhängt. Also tu, was ich dir sage oder ich muss ein Disziplinarverfahren einleiten. Verstanden?“

Sie klang gereizt, fast wie ein Kind. „In Ordnung.“

„Gut. Wenn du Zugang zu seinem Konto hast, schau nach etwas, das aus der Reihe fällt. Geld, das dort nicht hingehört. Größere Einzahlungen oder Beträge, die abgehoben wurden. Elektronische Überweisungen. Wenn er ein Sparkonto hat oder andere Anlagen, die mit dem Konto in Verbindung stehen, überprüfe die auch. Wir sprechen hier von einem Ex-Häftling auf Bewährung. Er dürfte nicht allzu viel Geld haben. Wenn er doch welches hat, dann will ich wissen, wo es herkommt.“

„Okay, Luke.“ Er zögerte. „Wie läuft es mit den Nummernschildern?“ „Wir arbeiten so schnell wir können,“ sagte sie. „Wir haben Zugang zu Nachtaufnahmen der Fifth Avenue und der sechsundneunzigsten Straße sowie der Fifth Avenue und der vierundneunzigsten Straße und ein paar anderen in der Nachbarschaft. Wir verfolgen 198 Fahrzeuge, 46 davon mit hoher Priorität. Ich sollte in circa fünfzehn Minuten einen ersten Bericht aus den Zentralen reinbekommen.“

Luke blickte auf seine Uhr. Es wurde eng. „Okay. Gute Arbeit. Wir werden so schnell wie möglich runterkommen.“

„Luke?“ „Ja.“ „Die Story ist in allen Nachrichten. Es gibt drei Liveübertragungen. Alle bringen es als die Nachricht der Stunde.“ Er nickte. „Verstanden.“ Sie fuhr fort. „Der Bürgermeister hat eine Ankündigung für 6 Uhr angesetzt. Es klingt so, als würde er allen raten zu Hause zu bleiben.“ „Allen?“

„Er will, dass alles Personal, das nicht unbedingt notwendig ist, Manhattan fern bleibt. Alle Büroangestellten. Das ganze Reinigungspersonal und alle Verkäufer. Alle Schulkinder und Lehrer. Er wird vorschlagen, dass sich fünf Millionen Leute einen Tag Auszeit nehmen.“

Luke presste eine Hand an seinen Mund. Er atmete einmal tief durch. „Das sollte viel für die Kampfmoral tun,“ sagte er. „Wenn in New York alle zu Hause bleiben, schlagen sie wahrscheinlich einfach in Philadelphia zu.“




Kapitel 8




5.45 Uhr

Baltimore, Maryland – Südlich von Fort McHenry in einem Tunnel


Eldrick stand etwa zehn Meter abseits des Lieferwagens. Er hatte sich erneut übergeben. Trockenes Würgen und Blut. Das Blut beunruhigte ihn. Ihm war immer noch schwindlig, das Fieber und die Hitze waren noch da, aber da nichts mehr in seinem Magen war, hatte die Übelkeit fast aufgehört. Das Beste war, dass er endlich den Wagen verlassen hatte.

Irgendwo über dem trüben Horizont gewann der Himmel an Helligkeit, ein blass krankes Gelb. Hier unten war es noch dunkel. Sie standen am finsteren Ufer eines einsamen Parkplatzes. Eine Highway-Überführung ragte zwanzig Stockwerke über ihren Köpfen in die Höhe. In der Nähe war ein verlassenes Industriegebäude aus Backstein mit zwei Schornsteinen. Die schwarzen Löcher in den Fenstern sahen aus wie tote Augen. Das Gebäude war von Stacheldraht eingezäunt. Schilder wiesen im Zehnmeter-Abstand darauf hin, dem Gebäude fernzubleiben. Es gab ein sichtbares Loch im Zaun. Das Gelände um das Gebäude war mit Büschen und hohem Gras wild bewachsen.

Er beobachtete Ezatullah und Momo. Ezatullah entfernte eines der großen magnetischen Abziehbilder mit der Aufschrift Dun-Rite Wäschedienst, trug es zum Ufer und schleuderte es über das Wasser. Er kam zurück und tat das gleiche mit der anderen Seite. Elderick wäre nie auf die Idee gekommen, dass man diese Magneten ablösen konnte. Unterdessen kniete Momo vor dem Lieferwagen in der Hand einen Schraubendreher, mit dem er das Nummernschild abmontierte und ein anderes anbrachte. Einen Moment später wiederholte er diesen Vorgang auf der Rückseite.

Ezatullah gestikulierte Richtung Lieferwagen. „Voilà!“ sagte er. „Ganz anderer Wagen. Versuch mich jetzt mal zu fangen, Uncle Sam.“ Ezatullahs Gesicht war hellrot und schwitzte. Er schien zu keuchen. Seine Augen waren blutunterlaufen.

Eldrick blickte sich um. Ezatullahs Zustand hatte bei ihm eine Idee geweckt. Die Idee schlug wie ein Blitz in seine Gedanken ein, kaum war sie da, war sie auch schon wieder verschwunden. Das war die sicherste Art zu denken. Die Leute konnten häufig Gedanken erraten, wenn sie einem in die Augen blickten.

„Wo sind wir?“ fragte er.

„Baltimore,“ sagte Ezatullah. „Eine weitere eurer großartigen amerikanischen Städte. Hier lässt es sich sehr gut leben, vermute ich. Kaum Kriminalität, wunderschöne Natur und die Bürger sind alle gesund und wohlhabend, für Menschen überall zu beneiden.“

In der Nacht hatte Eldrick halluziniert. Er hatte mehr als einmal das Bewusstsein verloren. Er hatte jegliches ZeitgefГјhl und seinen Orientierungssinn verloren. Aber dass sie soweit gekommen waren, Гјberraschte ihn.

„Baltimore? Warum sind wir gerade hier?“ Ezatullah zuckte mit den Schultern. „Wir sind auf dem Weg zu unserem Zielort.“ „Das Ziel ist hier?“ Jetzt lächelte Ezatullah. Das Lächeln erschien in seinem von Strahlung vergifteten Gesicht zu verrücken. Er sah wie der Tod persönlich aus. Er streckte eine zitternde Hand aus und gab Eldrick einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.

„Es tut mir leid, dass ich böse mit dir war, mein Bruder. Du hast gute Arbeit geleistet. Du hast alles getan, was du versprochen hattest. So Allah es will, hoffe ich, dass du noch an diesem Tag das Paradies erreichen wirst. Aber nicht durch meine Hand.“

Eldrick starrte ihn an.

Ezatullah schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht Baltimore. Wir werden Richtung Süden fahren, um den leidenden Massen überall auf der Welt die Freude eines Schicksalsschlages zu bereiten. Wir werden die Höhle des Teufels selbst betreten und den Kopf des Biestes mit unseren eigenen Händen abtrennen.“

Eldrick lief ein kalter Schauder über den Oberkörper. Auf seinen Armen breitete sich Gänsehaut aus. Er bemerkte, dass sein eigenes Shirt geradezu in Schweiß schwamm. Das hörte sich in seinen Ohren nicht gut an. Wenn sie Richtung Süden fahren würden und gerade in Baltimore waren, dann war die nächste Stadt…

„Washington,“ sagte er. „Ja.“ Ezatullah lächelte erneut. Dieses Mal war es das ruhmvolle Lächeln eines Heiligen, der an den Toren des Himmels stand und darauf wartete Einlass zu erhalten. „Töte den Kopf und der Körper wird sterben.“ Eldrick konnte es in Ezatullahs Augen sehen. Der Mann hatte den Verstand verloren. Vielleicht war es die Krankheit oder vielleicht war es etwas anderes, aber es war offenkundig, dass er nicht klar dachte. Es war die ganze Zeit der Plan, die Materialien zu stehlen und den Wagen in der Süd-Bronx zurückzulassen. Es war ein gefährlicher Job, nicht einfach durchzuführen und sie hatten es trotzdem geschafft. Aber wer auch immer die Strippen zog, hatte seinen Plan geändert oder hatte von Anfang an gelogen. Jetzt fuhren sie in einem radioaktiv-verstrahlten Lieferwagen nach Washington.

Um was zu tun?

Ezatullah war ein erfahrener Dschihadist. Er musste wissen, dass das, was er hier andeutete, unmöglich war. Was auch immer er zu tun gedachte, Eldrick wusste, dass sie nicht einmal in die Nähe kommen würden. Er stellte sich den Wagen vor, von Einschusslöchern durchsiebt, dreihundert Meter vom Zaun des Weißen Hauses oder Pentagons oder des Kapitols entfernt.

Das war keine Selbstmordmission. Es war nicht einmal eine Mission. Es war eine politische Botschaft.

„Keine Sorge,“ sagte Ezatullah. „Freu dich. Man hat dich für diese große Ehre auserkoren. Wir werden es schaffen, auch wenn du dir das gerade noch nicht vorstellen kannst. Das Vorgehen wird dir rechtzeitig einleuchten.“ Er drehte sich um und ließ die Seitentür des Lieferwagens aufgleiten.

Eldrick blickte zu Momo. Er hatte das hintere Nummernschild fast angebracht. Momo hatte schon eine Weile nicht mehr gesprochen. Er fГјhlte sich wahrscheinlich selbst nicht besonders gut.

Eldrick trat einen Schritt zurück. Dann einen weiteren. Ezatullah war mit irgendetwas im Inneren des Wagens beschäftigt. Er hatte ihm den Rücken zugewandt. Das Seltsame des Moments war, dass er sich wahrscheinlich nicht noch einmal anbieten würde. Eldrick stand dort im toten Winkel und niemand schaute zu ihm. Eldrick war in der Schule Mittelstrecke gelaufen. Er war gut darin. Er erinnerte sich an die Menge im Armory in der hundertsechsundachtzigsten Straße in Manhattan, an die Platzierungen auf der große Anzeigetafel, wie das Startsignal ertönte. Er erinnerte sich an das flaue Gefühl im Magen kurz vor dem Rennen und an die unglaubliche Geschwindigkeit auf der neuen Bahn, schlanke schwarze Gazellen, rangelnd, die sich abstießen, die Ellenbogen in der Luft, die sich so schnell bewegten, als wäre es ein Traum.

Seitdem war Eldrick nie wieder so schnell gerannt wie damals. Doch wenn er seine gesamte Energie bündelte, dann würde er vielleicht noch einmal so schnell laufen können. Es erschien sinnlos zu warten oder länger darüber nachzudenken.

Er drehte sich um und rannte los. Eine Sekunde später hörte er Momos Stimme hinter ihm: „EZA!“

Dann folgte etwas auf Farsi. Das verlassene Gebäude befand sich vor ihm. Die Übelkeit kam zurück. Er würgte, Blut floss auf sein T-shirt, aber er lief weiter. Er war bereits außer Atem.

Er hörte etwas zuklappen wie ein Tacker. Es hallte verhalten an den Wänden des Gebäudes wider. Ezatullah schoss, natürlich tat er das. Seine Waffe hatte einen Schalldämpfer.

Ein scharfer Stich fuhr durch Eldricks Rücken. Er fiel auf den Boden und schürfte sich seinen Arm an dem kaputten Asphalt auf. Den Bruchteil einer Sekunde später erschallte ein weiterer Schuss. Eldrick stand auf und rannte weiter. Der Zaun war nah. Er schwenkte um und lief auf das Loch zu.

Ein zweiter Stich durchdrang ihn. Er fiel nach vorne und klammerte sich an den Zaun. Seinen Beinen schien die gesamte Kraft zu entweichen. Er hing dort, an seinen Finger, die sich an die Maschen des Zauns klammerten.

„Beweg dich,“ krächzte er. „Beweg dich.“

Er fiel auf seine Knie, krabbelte auf den zerrissen Zaun zu und zwängte sich durch das Loch. Hohes Gras umgab ihn. Er stand auf wankte ein paar Schritte nach vorne, stolperte über etwas, das er nicht gesehen hatte und rollte eine Aufschüttung herunter. Er unternahm keinen Versuch zum Stehen zu kommen und überließ es dem Schwung, ihn zum Fuße der Aufschüttung zu befördern.

Er kam zum Stehen. Er atmete schwer. Der Schmerz in seinem Rücken war enorm. Sein Gesicht war von Schmutz bedeckt. Es war nass und matschig hier, er befand sich direkt am Ufer. Er konnte sich in das dunkle Wasser rollen, wenn er wollte. Doch stattdessen kroch er tiefer in das Gehölz. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Wenn er hier blieb, sich nicht bewegte und keinen Mucks machte, dann wäre es kaum möglich…

Er berГјhrte mit der Hand seine Brust. Seine Finger tasteten Blut.


*

Ezatullah stand neben dem Loch im Zaun. Die Welt um ihn herum drehte sich. Ihm war schwindlig geworden, als er versucht hatte Eldrick hinterherzulaufen.

Seine Hand umfasste stützend die Maschen des Zauns. Er dachte, er müsse sich übergeben. Es war dunkel dort im Gebüsch. Sie könnten eine Stunde dort nach ihm suchen. Wenn er es in das große verlassene Haus geschafft hatte, würden sie ihn vielleicht nie finden.

Mohammar stand in seiner Nähe. Er hatte sich nach vorn übergebeugt, seine Hände hatte er auf die Knie stützt, er atmete tief ein und aus. Sein Körper zitterte. „Sollen wir hinterher?“ fragte er.

Ezatullah schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit. Ich habe ihn zwei Mal angeschossen. Wenn die Strahlung ihn nicht umbringt, dann die Kugeln. Lass ihn hier alleine verrecken. Vielleicht wird Allah mit diesem Feigling Mitleid haben. Ich hoffe es. Wie auch immer wir müssen weiter, auch ohne ihn.“

Er drehte sich um und lief zum Lieferwagen zurück. Es schien, als parkte der Wagen weit weg. Er war müde und abgezehrt aber er setzte weiter einen Fuß vor den anderen. Jeder Schritt brachte ihn näher zum Paradies.




Kapitel 9




6.05 Uhr

Kommandozentrale der Anti-Terrorismus Einheit – Midtown Manhattan


„Luke, es wäre jetzt das Beste, deine Leute zusammenzurufen und zurück nach Washington zu fahren,“ sagte der Mann in dem Anzug.

Luke stand etwas abseits des geschäftigen Chaos, das sich im Hauptraum der Zentrale abspielte. Der Tag war bereits angebrochen und schwaches Licht drang durch die Fenster zwei Stockwerke über dem Arbeitsbereich. Die Zeit verging zu schnell und die Kommandozentrale war noch immer ein unkoordiniertes Schlachtfeld.

Zweihundert Menschen befanden sich im Raum. Es gab mindestens vierzig Arbeitsstationen, von denen einige mit fünf Computerbildschirmen ausgestattet und von zwei oder drei Personen besetzt waren. Auf der großen Wand ganz vorne befanden sich zwanzig verschiedene Fernseh- und Computerbildschirme. Die Monitore zeigten digitale Karten von Manhattan, der Bronx, Brooklyn, Live-Schaltungen aus den Eingängen zum Holland und Lincoln Tunnel, Fahndungsfotos von arabischen Terroristen, von denen bekannt war, dass sie sich im Land aufhielten.

Drei der Bildschirme zeigten gerade Bürgermeister DeAngelo, während er ins Mikrofon sprach und den tapferen Menschen New Yorks mitteilte mit ihren Kindern zu Hause zu bleiben. Er schien mit seinen fast zwei Metern seine Berater neben ihm in den Schatten zu stellen. Die Rede war vorbereitet und er las sie von einem Manuskript ab.

„Im schlimmsten Fall,“ sagte der Bürgermeister, dessen Stimme aus Lautsprechern kam, die in allen Winkeln des Raums aufgestellt worden waren, „würde die erste Explosion viele Menschen töten und eine Massenpanik im betroffenen Gebiet auslösen. Der Kontakt mit der Strahlung würde Angst und Schrecken in der Region und wahrscheinlich im gesamten Land verbreiten. Viele Menschen, die bei der Explosion mit der Strahlung in Kontakt kommen würden, würden erste Symptome zeigen und schließlich sterben. Die Aufräumkosten wären enorm, aber sie wären marginal im Vergleich zu den psychologischen und ökonomischen Kosten. Der Einsatz einer radioaktiven Bombe in einem größeren Bahnhof in New York City würde das Transportsystem entlang der Ostküste für lange Zeit erheblich einschränken.“

„Wie erfreulich,“ bemerkte Luke. „Ich frage mich, wer seine Reden schreibt.“

Sein Blick fuhr durch den Raum. Alle waren sie hier vertreten und sie alle kämpften um Status und Geltung. Es war förmlich eine Buchstabensuppe. NYPD, FBI, NSA, ATF, DEP und sogar die CIA. Sogar die DEA. Luke wunderte sich, wie der Diebstahl von radioaktivem Material mit Drogenkriminalität zusammenpasste.

Ed Newsam war in der Menge auf die Suche nach Personal vom Spezialeinsatzkommando gegangen. „Luke, hast du gehört, was ich gerade gesagt habe?“ Luke kehrte mit seinen Gedanken zurück. Er stand neben Ron Begley vom Verfassungsschutz.

Sicherheit. Ron hatte schütteres Haar und war Ende fünfzig. Er hatte einen Bauch und dickliche kleine Finger. Luke kannte seine Geschichte. Er war ein Bürohengst, ein Mann der es durch den Bürokratieapparat der Regierung zu etwas gebracht hatte. Am elften September hatte er für das Finanzministerium gearbeitet und ein Team geleitet, das sich mit Steuerhinterziehung und Ponzi-Schemes beschäftigte. Er hatte zur Anti-Terrorismus-Einheit gewechselt als der Verfassungsschutz gegründet wurde. Er hatte noch nie jemanden verhaften lassen oder im Affekt seine Waffe benutzt.

„Du sagtest, ich solle nach Hause gehen.“

„Du trittst hier Leuten auf die Füße, Luke. Kurt Myerson hat seinen Chef angerufen und ihm erzählt, dass du die Leute im Krankenhaus wie deine persönlichen Angestellten behandelt hast. Und dass du einem SWAT-Team Anweisungen gegeben hast. Mal ehrlich? Einem SWAT-Team? Hör zu, das ist deren Zuständigkeit. Du bist derjenige, der ihren Anweisungen folgt. So herum läuft der Hase.“

„Ron, die New Yorker Polizeibehörde hat uns angerufen. Ich nehme stark an, dass sie das getan haben, weil sie uns brauchen. Die Leute wissen, wie wir arbeiten.“

„Cowboys,“ sagte Begley. „Ihr benehmt euch wie Rodeo Cowboys.“ „Don Morris hat mich aus dem Bett geholt, damit ich herkomme. Du kannst mit ihm sprechen…!“

Begley zuckte mit den Schultern. Ein Lächeln zuckte über sein Gesicht. „Don wurde abberufen. Er hat vor zwanzig Minuten den Helikopter genommen. Ich würde vorschlagen, dass du das auch machst.“

„Was?“

„Es ist wahr. Er wurde auf höhere Ebene berufen. Sie haben ihn gebeten einen Situationsüberblick im Pentagon zu geben. Hochrangiges Zeug. Ich vermute, sie hatten keinen Praktikanten, der das machen konnte, deshalb haben sie Don herbeizitiert.“

Begley dämpfte seine Stimme, doch Luke konnte ihn immer noch gut verstehen. „Kleiner Ratschlag. Was bleibt Don denn noch, drei Jahre bis zur Pensionierung? Don ist eine aussterbende Gattung. Er ist ein Dinosaurier genauso wie das Spezialeinsatzkommando. Ihr wisst es und ich weiß es auch. Alle diese kleinen geheimen Einheiten innerhalb der Einheit werden auf der Strecke bleiben. Wir fusionieren und zentralisieren, Luke. Was wir jetzt brauchen sind datenbasierte Analysen. So werden die Verbrechen in der Zukunft aufgeklärt. Und so werden wir auch die Terroristen heute kriegen. Wir brauchen keine testosterongesteuerten Super-Spione und in die Jahre gekommene Kommandeure, die sich an Gebäudeseiten abseilen. Das ist vorbei. Das Helden-Spielen hat ein Ende. Es ist fast ein wenig komisch, wenn man darüber nachdenkt.“

„Toll,“ sagte Luke. „Ich werde das in meine Überlegungen miteinbeziehen.“

„Ich dachte, du würdest am College unterrichten,“ sagte Begley. „Geschichte, Politikwissenschaft, so was in der Art.“

Luke nickte. „Ja das stimmt.“ Begley legte seine fleischige Hand auf Lukes Arm. „Du solltest dabei bleiben.“ Luke schüttelte die Hand ab und verschwand in der Menge, um nach seinen Leuten zu suchen.


*

„Was haben wir soweit?“ fragte Luke.

Sein Team kampierte in einem etwas auГџerhalb liegenden BГјro. Sie hatten sich ein paar leere Tische geschnappt und ihre eigene kleine Kommandostation mit Laptops und Satellitenverbindung eingerichtet. Trudy und Ed Newsam waren da, sowie ein paar andere. Swann saГџ mit drei Laptops alleine in einer Ecke.

„Sie haben Don zurückgerufen,“ sagte Trudy. „Ich weiß. Hast du mit ihm gesprochen?“ Sie nickte. „Vor zwanzig Minuten. Kurz vor seinem Abflug. Er hat gesagt, dass wir bis auf weiteres an dem Fall dranbleiben sollen. Freundlich ausgedrückt für: Ignoriert alle, die das Gegenteil fordern.“ „Klingt gut. Also was haben wir?“ Ihr Gesicht war ernst. „Wir sind ziemlich gut vorangekommen und konnten den Kreis an Fahrzeugen mit hoher Priorität auf sechs einschränken. Alle haben in einer Straße Reichweite das Krankenhaus letzte Nacht passiert. Sie alle haben etwas, das nicht zusammenpasst oder verdächtig ist.“

„Kannst du mir ein Beispiel geben?“

„Klar. Einer ist ein Lebensmitteltransporter, der auf einen ehemaligen russischen Fallschirmjäger läuft. Wir konnten ihn mit Hilfe der Überwachungskameras folgen, so weit können wir sagen, dass er die ganze Nacht durch Manhattan gefahren ist, er hat Hot Dogs und Pepsi an Prostituierte, Zuhälter und Freier verkauft.“

„Wo ist er jetzt?“

„Er parkt auf der elften Avenue, südlich vom Jacob Javits Convention Center. Er hat sich eine Weile lang nicht bewegt. Wir glauben, dass er gerade schläft.“

„Okay, klingt als wäre er damit von niedriger Priorität. Leite das nur für den Fall weiter zum NYPD. Die können ihn aufscheuchen, seinen Truck auf den Kopf stellen und herausfinden, was er sonst noch so verkauft. Nächster.“

Trudy ging zum Nächsten über. Ein Kleinwagen, der bei Uber registriert war und einem in Ungnade gefallenen ehemaligen Atomphysiker gehörte. Ein vierzig Tonnen schwerer Traktorschlepper, für den nach einem Unfall mit anschließender Verschrottung Schadensersatz beantragt wurde. Der Lieferwagen einer kommerziellen Wäscherei mit Nummernschildern, die auf ein Geschäft für Fußbodenbelag in Long Island registriert sind. Ein vor drei Jahren als gestohlen gemeldeter Krankenwagen.“

„Ein gestohlener Krankenwagen?“ fragte Luke. „Das klingt doch nach etwas.“

Trudy zuckte die Schultern. „Das ist normalerweise der Schwarzmarkt für Organhandel. Sie entnehmen den Verstorbenen kurz nach ihrem Dahinscheiden Organe, die sie dann verpacken und schnell aus dem Krankenhaus bringen. Ein Krankenwagen fällt schließlich auf einem Krankenhausparkplatz nicht auf.“

„Aber vielleicht haben sie heute nicht auf Organe gewartet. Wissen wir, wo sie gerade sind?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Den einzigen Standort, den wir kennen, ist der von dem Russen. Das ist immer noch eher Kunst als Wissenschaft. Überwachungskameras sind noch längst nicht überall, vor allem wenn man einmal Manhattan verlassen hat. Man sieht einmal einen Wagen an einer Kamera vorbeifahren und dann siehst du ihn nie wieder. Oder du findest ihn zehn Straßen entfernt wieder oder zehn Kilometer. Der Traktorschlepper ist über die George Washington Brücke nach New Jersey gefahren, bevor wir ihn verloren haben. Der Wäschereiwagen ist zur hundertachtunddreißigsten Straße Richtung Süd-Bronx gefahren, bevor er verschwand. Momentan versuchen wir ihn mit anderen Mitteln wiederzufinden. Wir haben das Fuhrunternehmen, Uber, das Fußbodengeschäft und die Wäscherei kontaktiert. Wir sollten bald Bescheid bekommen. Außerdem durchforsten acht Leute im Headquarter Videoaufnahmen um den Krankenwagen wiederzufinden.“

„Gut. Halt mich auf dem Laufenden. Wie läuft es mit der Bankgeschichte?“ Trudys Gesicht versteinerte. „Diesbezüglich solltest du Swann fragen.“ „Okay.“ Er trat einen Schritt auf Swanns Ecke zu. „Luke?“

Er blieb stehen. „Ja.“ Ihre Augen streiften durch den Raum. „Können wir uns mal unter vier Augen unterhalten?“


*

„Du willst mich feuern, nur weil ich nicht bereit bin für dich das Gesetz zu brechen?“ „Trudy, ich werde dich nicht feuern. Warum sollte ich das tun?“ „Das ist aber genau das, was du gesagt hast, Luke.“ Sie standen in einem kleinen Lagerraum. Zwei leere Tische standen dort, es gab ein kleines Fenster. Der Bodenbelag war neu. Die Wände waren makellos weiß. Eine Überwachungskamera war in einer der Ecken in Höhe der Decke angebracht worden.

Der Raum sah so aus als wäre er noch nie benutzt worden. Die Kommandozentrale war vor weniger als einem Jahr ins Leben gerufen worden.

Trudys groГџe Augen sahen ihn unverwandt an.

Luke seufzte. „Ich wollte dir eine Verschnaufpause geben. Ich dachte, du würdest das verstehen. Wenn Ärger auf dich zugekommen wäre, hättest du es auf mich schieben können. Alles das, was du getan hast, hast du auf meine Anweisung hin getan. Du hattest Angst deinen Job zu verlieren, wenn du meiner Anordnung nicht gefolgt wärest.“

Sie trat einen Schritt auf ihn zu. In der Beengtheit des Raumes konnte er ihr Shampoo riechen und den leichten Duft Eau de Cologne, den sie oft trug. Die Kombination dieser DГјfte lieГџ seine Beine weich werden. Er fГјhlte, wie sie leicht zitterten.

„Du darfst mir nicht einmal direkte Anordnungen geben, Luke. Du arbeitest nicht mehr für die Spezialeinheit.“ „Ich bin lediglich beurlaubt.“

Sie ging noch einen weiteren, kleinen Schritt auf ihn zu. Ihre Augen bohrten sich wie zwei Laser in ihn. Diese Augen zeugten von Klugheit und Feuer.

„Und du hast dich warum beurlauben lassen? Meinetwegen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hatte meine Gründe. Du warst keiner davon.“ „Die Marshall Brüder?“ Er zuckte die Schultern. „Wenn man zwei Männer in einer Nacht umbringt, ist es wahrscheinlich der richtige Zeitpunkt eine Auszeit zu nehmen. Vielleicht um eine neue Perspektive auf die Dinge zu gewinnen.“ „Sagst du mir gerade, dass du nie irgendwelche Gefühle für mich hattest?“ fragte sie. Er sah sie an, verblüfft, dass sie diese Frage stellte. Er hatte immer gespürt, dass Trudy mit ihm flirtete, doch er war nie darauf eingegangen. Einige wenige Male, als sie betrunken auf irgendwelchen Cocktail-Partys unterwegs gewesen waren und er sich mit seiner Frau gestritten hatte, waren sie sich näher gekommen. Aber der Gedanke an seine Frau und seinen Sohn hatte ihn immer davor bewahrt in den Abgrund zu springen.“

„Trudy, wir arbeiten zusammen,“ sagte er förmlich. „Und ich bin verheiratet.“ Sie kam noch näher heran. „Ich bin nicht auf der Suche nach einem Bräutigam, Luke,“ sagte sie sanft, beugte sich nach vorne und war nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Schließlich lehnte sie sich an ihn. Seine Arme hingen an seinen Seiten herab. Er spürte die Wärme ihres Körpers und den alten unkontrollierbaren Drang, den ihre Gegenwart bei ihm auslöste, die Erregung, die Energie… die Lust. Sie legte ihre Hände auf seine Brust und als ihre Handinnenflächen sein Shirt berührten, wusste er, dass er jetzt reagieren oder sich ihr völlig hingeben musste.

Mit einer Geste größter Selbstdisziplin trat Luke einen Schritt zurück und schob ihre Hände sanft von sich.

„Tut mir Leid, Trudy,“ sagte er mit rauer Stimme. „Du bist mir wichtig. Wirklich. Aber das wäre keine gute Idee.“

Sie zog die Augenbrauen zusammen, doch bevor sie etwas sagen konnte, donnerte eine schwere Faust gegen die HolztГјr.

„Luke, bist du da drin?“ Es war Newsams Stimme. „Du solltest rauskommen und einen Blick auf das hier werfen. Swann hat was gefunden.“

Sie starrten einander an, Luke hatte Gewissensbissen, wenn er an seine Frau dachte, obwohl nichts passiert war.

Er entzog sich der Situation, um Schlimmeres zu vermeiden und fragte sich, wie dieses Vorkommnis ihre Zusammenarbeit belasten wГјrde.

Das Schlimmste jedoch war sich einzugestehen, dass er im tiefsten Inneren den Raum nicht verlassen wollte.


*

Swann saГџ an einem langen Tisch, auf dem sich drei Monitore aneinanderreihten. Mit seinem schГјtteren Haar und der Brille erinnerte er Luke an einen NASA-Physiker einer Weltraumflugkontrollstation. Luke stand mit Newsam und Trudy hinter ihm, alle drei schauten Гјber Swanns schmale Schultern.

„Das hier ist Ken Bryants Bankkonto,“ sagte Swann und deutete mit dem Cursor auf etwas in der Mitte des Bildschirms. Luke speicherte die Details in seinem Kopf ab: Überweisungen, Abzüge, Gesamtsaldo, alles zwischen dem achtundzwanzigsten April und siebenundzwanzigsten Mai.

„Wie sicher ist diese Verbindung?“ fragte Luke. Er schaute sich im Raum und vor der Tür um. Der Hauptraum der Zentrale befand sich bereits am Ende des Gangs.

„Die hier?“ fragte Swann. Er zuckte mit den Schultern. „Sie steht in keiner Verbindung mit der Zentrale. Ich bin mit unserem eigenen Tower und unseren eigenen Satelliten verbunden. Verschlüsselt von unseren Leuten. Ich nehme stark an, dass CIA oder NSA jemanden finden könnten, der Zugang findet, aber warum sollte uns das stören? Wir spielen doch alle im selben Team oder? Ich würde mir darum keine Sorgen machen. Ich würde mich viel eher auf das Bankkonto hier konzentrieren. Fällt etwas auf?“

„Sein Saldo beträgt 24.000 Dollar,“ sagte Luke.

„Richtig,“ sagte Swann. „Eine Reinigungskraft mit einem beachtlichen Batzen Geld auf seinem Konto. Interessant. Nun lasst uns einen Monat zurückgehen. Achtundzwanzigster März bis siebenundzwanzigster April. Der Kontostand beträgt sogar 37.000 Dollar, einiges davon gibt er wohl aus. Es gibt Überweisungen von einem anonymen Konto, 5.000 Dollar, dann 4.000 Dollar, dann, oh okay, vergesst das IRS Problem… her mit den 20.000 Dollar.“

„Okay,“ sagte Luke.

„Geh noch einen Monat zurück. Ende Februar bis Ende März. Sein Anfangssaldo beträgt 1.129 Dollar. Am Ende des Monats sind es mehr als 9.000 Dollar. Geh noch einen zurück, Ende Januar bis Ende Februar, sein Kontostand betrug nie mehr als 2.000 Dollar. Wenn du noch drei weitere Jahre zurückgehst, wirst du sehen, dass sein Kontostand selten mehr als 1.500 Dollar betrug. Ein Typ, der von der Hand in den Mund lebte und der mit einem Mal im März riesige Beträge auf seinem Konto verbuchen kann.“

„Woher kommen die?“

Swann lächelte und hob den Finger. „Jetzt kommt der spaßige Teil. Die Überweisungen kommen von einer kleinen Offshore-Bank, die auf anonyme Nummernkonten spezialisiert ist. Sie heißt Royal Heritage Bank und liegt auf den Cayman Inseln.“

„Kommst du da rein?“, fragte Luke. Er schaute zu Trudy, die missbilligend dreinblickte.

„Das brauche ich gar nicht“, sagte Swann. „Royal Heritage gehört einem CIA Agenten mit Namen Grigor Svetlana. Er ist Ukrainer, gehörte einst zur Roten Armee. Er hat es sich vor zwanzig Jahren mit den Russen verscherzt, nachdem alte Sowjet-Waffentechnik verschwunden war und dann auf dem Schwarzmarkt in Westafrika wieder aufgetaucht war. Ich spreche hier nicht von Waffen. Ich spreche hier von Flugabwehrgeschützen, Panzerabwehrraketen und tieffliegenden Lenkflugkörpern. Die Russen waren bereit ihn dafür zu hängen. Da er nicht wusste wohin, ist er zu uns gekommen. Ich habe einen Freund bei Langley. Die Konten der Royal Heritage Bank sind bei weitem kein Geheimnis, sondern für den amerikanischen Geheimdienst ein offenes Buch. Das ist den meisten Royal Heritage Bank Kontoinhabern natürlich nicht bewusst.“

„Also weißt du, auf wen das Konto läuft, das die Überweisungen getätigt hat.“ „Ganz genau.“ „Okay, Swann,“ sagte Luke. „Ich habe es kapiert. Du bist sehr intelligent. Jetzt komm zum Punkt.“ Swann fuchtelte vor den Computerbildschirmen herum. „Byrant selbst führte das Konto, von dem aus die Überweisungen kommen. Das ist das Konto hier auf meinem linken Bildschirm. Wie du sehen kannst, beläuft sich das Saldo derzeit auf 209.000 Dollar. Er hat hier und dort kleinere Beträge vom Nummernkonto auf sein Girokonto verschoben, wahrscheinlich um persönliche Besorgungen davon zu machen. Und wenn wir ein paar Monate zurückscrollen dann können wir sehen, dass Byrants Offshore-Konto am dritten März mit einem Anfangsbetrag von 250.000 Dollar eröffnet wurde, überwiesen von einem anderen Royal Heritage Konto, dem auf dem rechten Monitor.“

Luke schaute zu dem Konto auf der rechten Seite. Mehr als vierundvierzig Millionen Dollar waren dort verbucht. „Da hat sich Byrant wohl auf ein Tauschgeschäft eingelassen,“ sagte er. „Genau,“ sagte Swann. „Wer ist es?“

„Es handelt sich um diesen Mann.“ Auf dem Bildschirm tauchte ein Personalausweis auf. Er zeigte einen Mann mittleren Alters mit dunklen sich ins Weiße entfärbenden Haaren. „Das ist Ali Nassar. Siebenundfünfzig Jahre alt. Iraner. In Teheran in eine einflussreiche und wohlhabende Familie geboren. Hat erst an der London School of Economics studiert, dann an der Harvard Law School. Zurück in der Heimat hat er einen weiteren Jura-Abschluss an der Universität von Teheran gemacht. Folglich kann er sowohl in den USA als auch in Iran als Rechtsanwalt praktizieren. Er hatte den Großteil seiner Karriere mit internationalen Handelsvereinbarungen zu tun. Er lebt hier in New York und ist momentan iranischer Diplomat bei den Vereinten Nationen. Er hat volle diplomatische Immunität.“

Luke strich sich über das Kinn. Er konnte dort die kurzen Stoppeln spüren. Er fing an müde zu werden. „Nur um das noch einmal klarzustellen. Nassar hat Byrant bezahlt, vermutlich um Zugang zum Krankenhaus zu bekommen und um an Informationen über Sicherheitsmaßnahmen und wie man sie umgeht zu gelangen.“

„Wahrscheinlich war es so, ja.“

„Also führt er höchstwahrscheinlich eine Terrorzelle hier in New York an und fungierte bei dem Diebstahl des hochgefährlichen Materials und dem Mord von vier Menschen als Komplize und die Krönung ist, dass er unter amerikanischem Recht strafrechtlich nicht verfolgt werden kann.“

„So sieht es aus.“

„Okay. Du bist bereits in seinem Konto, richtig? Lass uns nachsehen, wohin er sonst noch Geld überwiesen hat.“

„Dafür werde ich ein bisschen Zeit brauchen.“ „In Ordnung. Ich muss kurz etwas erledigen.“ Luke blickte zu Ed Newsam. Newsams Gesicht war steinhart, seine Augen flach und leer. „Sag mal Ed, hast du Lust mit mir Herrn Ali Nassar einen kleinen Besuch abzustatten?“ Newsam lächelte, konnte die Finsternis seines Gesichts aber auch jetzt nicht überlisten. „Hört sich gut an.“




Kapitel 10




6.20 Uhr

Kongress Wellness Center – Washington, DC


Es war nicht gerade einfach zu finden.

Jeremy Spencer stand vor mehreren verschlossenen Stahltüren in einem Untergeschoss des Rayburn House Bürogebäudes.

Die Türen lagen versteckt in einer Ecke des Parkgebäudes im Untergeschoss. Nur wenige wussten, dass es überhaupt existierte. Noch wenigere wussten, wo es lag. Er kam sich seltsam vor, als er trotzdem an eine der Türen klopfte.

Die TГјr summte. Er stieГџ sie auf und spГјrte wie sich ein GefГјhl altvertrauter Unsicherheit in seinem Magen ausbreitete. Er wusste, dass dieses Fitnessstudio nur Mitglieder des amerikanischen Kongresses vorbehalten war. Dennoch war er trotz dieses verstaubten Protokolls eingeladen worden.

Heute war der wichtigste Tag in seinem jungen Leben. Er lebte seit drei Jahren in Washington und nun ging es endlich bergauf.

Noch vor sieben Jahren war er ein Landei aus dem Norden New Yorks gewesen, das in einer Wohnwagensiedlung lebte. Dann hatte er ein Vollzeitstipendium für die staatliche New Yorker Universität Binghamton bekommen. Doch anstatt abzuschalten und die Freikarte zu genießen, wurde er Präsident der Kampus-Republikaner und Kommentator der Universitätszeitung. Schon bald postete er für Breitbart und Drudge. Nur kurze Zeit darauf wurde er Sonderberichterstatter für das Kapitol.

Das Fitnessstudio war nichts Besonderes. Es gab ein paar Kardiotrainer, Spiegel und einige Hanteln auf einer Ablage. Ein alter Mann in Trainingshose und T-Shirt trug Kopfhörer und lief auf dem Laufband. Jeremy betrat die ruhige Umkleidekabine. Er bog um die Ecke und vor ihm stand der Mann, für den er gekommen war.

Der Mann war groß, Mitte fünfzig und hatte silbernes Haar. Er stand vor einem geöffneten Schließfach, sodass Jeremy ihn im Profil sehen konnte. Sein Rücken war gerade und sein großer Kiefer stand etwas nach vorne. Er trug ein T-Shirt und eine kurze Hose, beides war schweißnass. Seine Schultern, Arme, Beine und Brust, alles war durchtrainiert und definiert. Er sah wie ein Anführer aus.

Der Mann hieß William Ryan, er war Abgeordneter von North Carolina in seiner neunten Amtszeit und zudem Sprecher des Repräsentantenhauses. Jeremy wusste alles über ihn. Er kam aus einer alten wohlhabenden Familie. Ihnen hatten schon vor der Revolution Tabakplantagen gehört. Sein Ur-Ur-Großvater war Senator in der Zeit während und nach dem Sezessionskrieg gewesen. Er hatte als Jahrgangserster seinen Abschluss an der Militärhochschule von South Caroline erworben. Er war charmant und großzügig und er trat mit einem Selbstvertrauen und einer Selbstverständlichkeit auf, dass nur wenige in seiner Partei sich gegen ihn gestellt hätten.

„Herr Abgeordneter, Sir?“

Ryan drehte sich um, sah Jeremy dort stehen und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Sein T-Shirt war dunkelblau, mit roten und weißen Lettern. STOLZER AMERIKANER prangte darauf. Er hielt ihm seine Hand entgegen. „Verzeihen Sie“, sagte er. „Ich bin noch etwas durchgeschwitzt.“

„Kein Problem, Sir.“

„Okay“, sagte Ryan. „Genug mit dem formalen Sir. Privat kannst du mich Bill nennen. Wenn sich das seltsam anfühlt, kannst du auch bei meiner offiziellen Bezeichnung bleiben. Aber ich will, dass du etwas weißt. Ich habe nach dir im Speziellen gebeten und ich werde dir exklusiv diese Informationen geben. Spätnachmittags werde ich vielleicht eine Pressekonferenz geben. Darüber bin ich mir noch nicht ganz klar. Bis dahin, also im Prinzip den Großteil des Tages, werden meine Gedanken zu der Krise dir vorbehalten sein. Wie fühlt sich das an?“

„Großartig“, sagte Jeremy. „Das ist eine Ehre. Aber warum ich?“

Ryan dämpfte seine Stimme. „Du bist ein guter Kerl. Ich verfolge schon eine Weile deine Artikel. Und ich will dir einen Rat geben. Unter uns gesagt: Nach dem heutigen Tag wirst du kein Kampfhund mehr sein, sondern ein anerkannter Journalist. Ich will, dass du von morgen an Wort für Wort das druckst, was ich vorhabe zu sagen, allerdings etwas, wie soll ich sagen… nuancierter. Newsmax ist eine großartige Sache, aber in spätestens einem Jahr sehe ich dich bei der Washington Post. Wir brauchen dich dort, deshalb wird es genau so kommen. Aber zuerst müssen die Leute sehen, dass du dich zu einem gemäßigten Mainstream Reporter entwickelt hast. Ob das tatsächlich der Fall ist, spielt keine Rolle. Es muss nur so wirken. Weißt du, wovon ich spreche?“

„Ich denke schon“, sagte Jeremy. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Diese Worte waren ebenso aufregend wie erschreckend.

„Wir alle brauchen Vitamin B“, sagte der Sprecher des Repräsentantenhauses. „Auch ich. Also lass uns loslegen.“

Jeremy holte sein Handy heraus. „Aufnahme läuft. Sir, haben Sie von dem ungeheuren Diebstahl radioaktiven Materials heute Nacht in New York City gehört?“

„Das habe ich“, sagte Ryan. „So wie alle Amerikaner mache ich mir größte Sorgen. Meine Berater haben mich heute Morgen um vier mit diesen Nachrichten aus dem Schlaf gerissen. Wir stehen mit den Geheimdiensten in engem Kontakt und wir beobachten die Situation aus nächster Nähe. Wie Sie sicherlich wissen, arbeite ich schon seit längerem an einer Kriegserklärung des Kongresses an den Iran, die der Präsident und seine Partei eisern ablehnen. Wir befinden uns in einer Situation, in der Iran Gebiete unseres Verbündeten Irak besetzt und selbst unser Personal muss die irakische Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen, um unsere Botschaft dort zu betreten oder zu verlassen. Ich bezweifle, dass es seit der iranischen Geiselnahme 1979 ähnlich demütigende Ereignisse gegeben hat.“

„Glauben Sie, dass dieser Diebstahl von Iran ausgeht und durchgeführt wurde?“

„Lassen Sie es uns zuallererst beim Namen nennen. Ob eine Bombe in einer U-Bahn-Station hochgeht oder nicht, wir sprechen hier von einer Terrorattacke auf amerikanischem Boden. Wenigstens Wächter des Sicherheitspersonals wurden ermordet und die Großstadt New York befindet sich in einem Zustand der Angst. Zweitens haben wir noch immer nicht genug Informationen, um Genaueres über die Täter sagen zu können. Aber wir wissen, dass das Chaos auf globaler Ebene diese Art von Angriffen begünstigt. Wir müssen wahre Stärke zeigen und wir müssen als Land zusammenstehen, überparteilich, nur so werden wir uns verteidigen können. Ich lade auch den Präsidenten ein sich uns anzuschließen.“

„Was glauben Sie sollte der Präsident tun?“

„Allermindestens muss er den nationalen Notstand ausrufen. Er sollte vorübergehend spezielle Vollmachten ausstellen, die für die Einhaltung der Gesetze sorgen, solange bis wir diese Leute gefunden haben. Diese Vollmachten sollten den Zugang zu Überwachungsmaterial ohne Genehmigung erlauben sowie die Suche und Festnahme an allen Bahnhöfen, Busstationen, Flughäfen, Schulen, öffentlichen Plätzen, Einkaufszentren und anderen Knotenpunkten möglich machen. Außerdem sollte er veranlassen, dass alle anderen Vorräte an radioaktivem Material in den USA sichergestellt werden.“

Jeremy sah die glГјhende Entschlossenheit in Ryans Augen. Dieser Blick war fast genug, um die Sache auf sich beruhen zu lassen.

„Und schließlich das Wichtigste. Wenn es sich herausstellt, dass die Angreifer tatsächlich aus dem Iran stammen, oder auf dessen Auftrag handeln, dann muss er dem Land entweder den Krieg erklären oder uns den Weg frei machen, dass wir das erledigen können. Wenn es sich hier tatsächlich um einen iranischen Angriff handelt und der Präsident weiterhin Versuche, unser Land und unsere Verbündeten im Nahen Osten zu schützen, blockiert, dann… welche Wahl lässt er mir dann noch? Ich selbst werde mich um ein Amtsenthebungsverfahren bemühen.“




Kapitel 11




6.43 Uhr

Fünfundsechzigste Straße in der Nähe der Park Avenue – Manhattan


Luke und Ed Newsam saßen auf der Rückbank einer der Geländewagen des Spezialeinsatzkommandos. Sie befanden sich gegenüber einer ruhigen von Bäumen gesäumten Straße. Dahinter erstrahlte ein hohes modernes Wohnhaus mit gläsernen Doppeltüren und weißbehandschuhten Türwächtern davor. Gerade hielt einer der Türmänner einer dürren blonden Frau in einem weißen Kostüm, die zusammen mit ihrem Hund kam, die Tür auf. Er hasste diese Art von Gebäuden.

„Wenigstens eine Person in dieser Stadt, die sich nicht um eventuelle Terrorattacken schert“, sagte Luke.

Ed fiel zurück in seinen Sitz. Er schien nur halb wach zu sein. Mit seiner beigen Cargo-Hose und dem weißen T-Shirt, durch das sich seine gemeißelte Brust abzeichnete, seinem Ballonkopf und seinem kurzgeschorenen Bart sah Ed wie der Gegenentwurf eines Polizeibeamten aus. Mit Sicherheit sah er nicht wie jemand aus, der jemals Zugang zu diesem Gebäude erhalten würde.

Luke dachte entnervt an Ali Nassars diplomatische Immunität. Er hoffe, dass Nassar kein großes Problem daraus machen würde. Luke würde keine Geduld haben, mit ihm zu verhandeln.

Lukes Handy klingelte. Er blickte auf den Display und drückte auf Abnehmen. „Trudy“, sagte er. „Wie kann ich dir helfen?“ „Luke wir haben gerade Informationen vom Geheimdienst hereinbekommen“, sagte sie. „Die Leiche, die du und Don im Krankenhaus gefunden haben.“ „Na sag schon.“ „Es handelt sich um den einunddreißigjährigen Ibrahim Abdulraman. Libyer, in Tripolis geboren, aus armem Elternhaus. So gut wie keine Schulausbildung. Ist mit achtzehn der Armee beigetreten. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zum Abu Salim Gefängnis delegiert, wo er mehrere Jahre gearbeitet hat. Dort soll es zu Verstößen gegen die Menschenrechte, Folter und Mord von politischen Oppositionellen miteingeschlossen, gekommen sein, in die er wohl verwickelt war. Als im März 2011 das Regime zusammenzubrechen drohte, ist er außer Landes geflohen. Er muss die Zeichen der Zeit richtig gedeutet haben. Ein Jahr später ist er wieder in London aufgetaucht, wo er als Bodyguard für einen jungen Saudi-Prinz gearbeitet hat.“

Lukes Schultern sackten nach unten. „Mmhh. Ein libyscher Henker, der für einen Saudi-Prinz arbeitet? Warum würde so jemand sein Leben bei einem Diebstahl von radioaktivem Material in New York verlieren? Wer war dieser Typ wirklich?“

„Es gibt keine Hinweise auf extremistische Verbindungen und er hatte wohl auch keine starken politischen Einstellungen. Er war kein Elite-Soldat in irgendwelchen militärischen Verbänden, noch hat er irgendwelche Trainingslager besucht. Für mich sieht das nach einem Opportunisten aus, einem Handlanger. Er ist vor zehn Monaten aus London verschwunden.“

„Okay, gib mir nochmal seinen Namen.“ „Ibrahim Abdulraman. Und, Luke? Du solltest noch etwas anderes wissen.“ „Schieß los.“ „Nicht ich habe das herausgefunden. Ich habe die Infos aus dem Hauptraum. Dieser Myerson vom NYPD hat mir die Identifikationsmerkmale vorenthalten und sie haben ihre eigenen Nachforschungen angestellt. Sie haben die Informationen an alle außer uns rausgegeben. Sie versuchen uns auszuschließen.“

Luke schaute zu Ed und verdrehte die Augen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein Hahnenkampf unter den verschiedenen Behörden. „Alles klar, tja…“

„Hör zu, Luke. Ich mache mir um dich ein klein wenig Sorgen. Dir scheinen hier die Freunde wegzurennen und ich bezweifle, dass ein internationales Ereignis das ändern könnte. Warum geben wir die Bankdetails nicht frei und lassen den Verfassungsschutz diesen Anruf machen? Wir könnten uns für die kleine Hacking-Aktion entschuldigen und sagen, dass wir überambitioniert waren. Wenn du jetzt diesen Diplomaten triffst, läufst du Gefahr, letztendlich ohne Rückendeckung dazustehen.“.

„Trudy, ich bin bereits hier.“ „Luke –“ „Trudy, ich lege jetzt auf.“ „Ich versuche nur.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            dir zu helfen“, sagte sie. Nachdem er aufgelegt hatte, schaute er zu Ed. „Fertig?“

Ed bewegte sich kaum. Er deutete auf das Gebäude. „Ich wurde genau dafür geboren.“


*

“Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?”, fragte der Mann als sie das Gebäude betraten.

Ein schillernder Kronleuchter hing von der Decke der Eingangslobby. Rechts standen ein Sofa und einige DesignerstГјhle. Ein langer Empfangstisch, hinter dem ein weiterer Aufpasser stand, zog sich entlang der Wand auf der linken Seite. Er hatte ein Telefon, einen Computer und eine ganze Reihe Bildschirme. Ein kleiner Fernseher zeigte die Nachrichten.

Der Mann schien um die fünfzig zu sein. Seine Augen waren rot und adrig, aber nicht blutunterlaufen. Sein Haar hatte er zurückgekämmt. Er sah aus als wäre er gerade aus der Dusche gestiegen. Luke vermutete, dass er hier schon sehr lange arbeitete und selbst, wenn er die Nacht durchgetrunken hätte, seinen Job im Schlaf bewältigen konnte. Er kannte wahrscheinlich vom Sehen jede einzelne Person, die hier jemals herein- oder herausspaziert war. Und er wusste, dass Luke und Ed nicht hierher gehörten.

„Ali Nassar“, sagte Luke.

Der Mann nahm den Hörer in die Hand. „Herr Nassar. Die Penthouse Suite. Wen soll ich bitte anmelden?“

Wortlos glitt Ed hinter den Empfangstisch und umgriff den Hörer so, dass das andere Ende ihn nur schwer hätte hören können. Ed war groß und stark wie ein Löwe, aber er bewegte sich geschmeidig wie eine Gazelle.

„Wir brauchen keine Anmeldung,“ sagte Luke. Er zeigte dem Wächter seine Polizeimarke. Ed tat das gleiche. „Bundespolizei. Wir müssen Herrn Nassar ein paar Fragen stellen.“

„Ich fürchte, dass dies im Moment nicht möglich sein wird. Herr Nassar empfängt niemanden vor acht Uhr.“

„Warum haben Sie dann versucht ihn anzurufen?“ fragte Newsam.

Luke blickte zu Ed hinüber. Das war eine schnippische Antwort. Ed wirkte nicht so, als wäre er einmal Mitglied eines Debattierclubs gewesen, aber er hätte sich dort sicherlich gut geschlagen.

„Haben Sie die Nachrichten heute gesehen?“ fragte Luke. „Sie haben bestimmt von dem radioaktiven Material gehört, das gestohlen wurde? Wir haben Grund zu der Annahme, dass Herr Nassar etwas darüber weiß.“

Der Mann starrte ins Leere. Luke grinste. Er hatte soeben Nassars weiße Weste beschmutzt. Dieser Wächter war eine wahre Goldgrube. Spätestens morgen würde das gesamte Personal dieses Gebäudes wissen, dass die Polizei hier gewesen war, um Nassar zu seinen Verstrickungen im Terrornetzwerk zu befragen.

„Es tut mir leid, Sir“, fing er an.

„Es muss Ihnen nicht leid tun,“ sagte Luke. „Alles was Sie tun müssen, ist uns Zugang zur Penthouse Suite zu verschaffen. Wenn Sie das nicht tun, muss ich Sie leider wegen Behinderung von polizeilichen Ermittlungen festnehmen lassen und ich werde Sie in Handschellen aus diesem Gebäude führen. Ich bin mir sicher, dass Sie das genauso wenig wollen wie ich. Also geben Sie uns den Schlüssel oder Code oder was auch immer wir brauchen und dann machen Sie mit Ihrer Arbeit weiter. Sollten Sie zudem versuchen,, den Fahrstuhl in irgendeiner Weise zu manipulieren, dann werde ich Sie nicht nur wegen Behinderung von polizeilichen Ermittlungen festnehmen, sondern auch wegen Mittäterschaft in vier Mordfällen und Diebstahls gefährlichen Materials. Der Richter wird eine Kaution von zehn Millionen Dollar veranschlagen und Sie werden auf Rikers Island dahinvegetieren, während Sie in den nächsten zwölf Monaten auf Ihren Prozess warten. Klingt das irgendwie verlockend…“ Luke schaute auf das Namensschild des Mannes.

„John?“


*

„Hättest du ihn wirklich festgenommen?“, fragte Ed.

Der gläserne Fahrstuhl, der in einer Glas-Röhre durch die einzelnen Stockwerke schwebte, befand sich in einer Ecke im Südwesten des Gebäudes. Als sie nach oben fuhren, erhielten sie eine erst atemberaubende dann schwindelerregende Ansicht der Stadt. Ein Blick auf die Riesenhaftigkeit der Stadt wurde freigegeben und sie fanden sich gegenüber des Empire State Buildings und zur Rechten  des Gebäudes der Vereinten Nationen wieder. In der Ferne schimmerten einige Flugzeuge im Landeanflug auf den LaGuardia Flughafen in der Morgensonne.

Luke grinste. „Für was hätte ich ihn denn festnehmen sollen?“ Ed gluckste. Der Fahrstuhl fuhr immer höher. „Ich bin echt müde. Ich war gerade dabei ins Bett zu gehen als Don mich anrief.“ „ich weiß“, sagte Luke. „Ich auch.“ Ed schüttelte den Kopf. „Ich habe diese rund um die Uhr Dinger lange nicht gemacht. Ich habe sie nicht vermisst.“ Der Fahrstuhl erreichte das Obergeschoss. Ein warmer Ton kündigte das an und die Türen glitten auseinander. Sie traten in eine große Halle. Der polierte Boden reflektierte das Licht. Direkt vor ihnen in etwa zehn Meter Entfernung standen zwei Männer. Sie waren groß und trugen Anzüge, dunkle Haut, vielleicht Perser, vielleicht anderer Ethnizität. Sie versperrten den Zugang zu einer Flügeltür. Luke war das egal.

„Sieht so aus als hätte unser Wächter bereits durchgerufen.“ Einer der Männer in der Halle winkte mit der Hand. „Nein! Sie müssen wieder runterfahren. Sie können hier nicht rein.“ „Bundespolizei“, sagte Luke. Er und Ed liefen auf die Männer zu. „Nein! Sie haben hier keine Hoheitsgewalt. Wir werden Ihnen keinen Zugang gewähren.“ „Ich vermute mal, dass ich es mir sparen kann, ihnen meine Marke zu zeigen,“ sagte Luke. „Ja“, sagte Ed. „Überflüssig.“ „Auf mein Signal, okay?“ „Klar.“ Luke wartete eine Sekunde. „Los.“ Sie waren anderthalb Meter von den Männern entfernt. Luke erreichte einen der Männer als erster und schlug ihm seine Faust ins Gesicht. Er war überrascht, wie langsam seine Faust sich zu bewegen schien. Der Mann war gute zehn Zentimeter größer als er. Er hatte ein Kreuz so groß wie das eines Greifvogels. Er wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab und griff Lukes Handgelenk. Er war stark und zog Luke zu sich.

Luke holte mit dem Knie in Richtung Leistengegend aus, aber der Mann wehrte auch das mit seinem Bein ab. Der Mann schlang seine Pranke um Lukes Hals. Seine Finger gruben sich wie die Greifer eines Adlers in das empfindliche Fleisch.

Mit seiner linken Hand, die noch frei war, langte Luke ihm in die Augen. Zeigefinder und Mittelfinger in jeweils ein Auge. Es war kein überraschender Zug, aber er war wirkungsvoll. Der Mann ließ von Luke ab und trat einen Schritt zurück. Seine Augen tränten. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. Dann grinste er.

Dann tauchte Newsam aus dem Nichts auf, wie ein Geist. Er nahm den Kopf des Mannes in beide Hände und schlug ihn hart gegen die Wand. Die Gewalttätigkeit dieser Geste war enorm. Manche Leute schlugen den Kopf ihres Gegners gegen die Wand. Was Newsam hier versuchte, war mit dem Kopf des Mannes die Wand zu durchbrechen.

Krach! Das Gesicht des Mannes zuckte. Krach! Sein Kiefer stand offen. Krach! Seine Augen verdrehten sich. Luke hob die Hand. „Ed! Okay. Ich glaube das reicht. Er hat genug. Lass ihn los. Diese Wände sehen aus wie Marmor.“ Luke sah zu dem anderen Wächter. Er lag bereits erledigt auf dem Boden, seine Augen waren geschlossen, sein Mund stand offen und sein Kopf lehnte an der Wand. Ed hatte kurzen Prozess mit ihnen gemacht. Luke hatte nicht eine kleine Schramme an ihnen hinterlassen.

Luke zog einige Kabelbinder aus Plastik aus seiner Tasche und kniete sich vor seinen Mann. Er band die Knöchel des Mannes zusammen. Er zurrte sie fest, wie die eines preisgekürten Schweines. Irgendwann würde jemand kommen und ihn davon befreien. Wenn der Moment gekommen war, würde der Mann wahrscheinlich für eine Stunde kein Gefühl in seinen Füßen mehr haben.

Ed tat das gleiche mit seinem Mann. „Du bist ein wenig eingerostet, Luke“, sagte er. „Ich? Nicht doch. Ich soll ja nicht einmal kämpfen. Sie haben mich wegen meines Verstands dazu geholt.“ Er konnte noch immer die Stelle an seinem Hals spüren, an der der Mann ihn zuvor gepackt hatte. Morgen würden sie sich zurückmelden. Ed schüttelte den Kopf. „ Ich war bei der Delta Force, genau wie du. Ich kam zwei Jahre nach dem Stanley Außenposteneinsatz in Nuristan. Damals haben die Leute noch viel davon gesprochen. Wie sie euch dort oben abgesetzt haben und ihr wurdet förmlich überrollt. Am Morgen waren nur noch drei Männer übrig, die kämpften. Du warst einer von diesen, stimmt’s?“

Luke grummelte. „Ich habe keine Ahnung von…“ „Hör mit dem Mist auf“, sagte Ed. „Geheim oder nicht, ich kenn die Geschichte.“ Luke hatte gelernt sein Leben in luftdichten Räumen zu leben. Er sprach nur selten über diesen Zwischenfall. Das schien in einem anderen Leben stattgefunden zu haben, in einer Ecke im Osten Afghanistans so weit entfernt dass dort ein paar Truppen aufzustellen schon viel geheißen hatte. Es war ewig her. Nicht einmal seine Frau wusste davon.

Aber Ed war bei der Delta gewesen, also… na gut.

„Ja“, sagte er. „Ich war dort. Schlechte Geheimdienstinformationen haben uns dorthin verschlagen und es wurde so zu dem schlimmsten Kampf meines Lebens.“ Er deutete auf die zwei Männer auf dem Boden.

„Im Vergleich dazu sieht das hier aus wie eine Folge aus Happy Days. Wir haben damals neun gute Leute verloren. Noch vor Sonnenaufgang ging uns die Munition aus.“ Luke schüttelte den Kopf. „Es wurde ziemlich hässlich. Die meisten unserer Männer waren da schon tot. Und wir drei, die noch lebten… ich weiß nicht, ob wir jemals wirklich zurückkamen. Martinez war hüftabwärts gelähmt. Das Letzte, was ich von Murphy gehört habe, war, dass er obdachlos ist und aus der Veteranen Psychiatrie rein- und rausspaziert.“

„Und du?“ „Ich habe bis heute Alpträume.“ Ed schnürte die Hände seines Mannes zusammen. „Ich kannte einen Typen aus dem Aufräumtrupp, der das Gebiet danach inspizierte. Er sagte, dass sie hundertsiebenundsechzig Leichen auf dem Hügel gefunden hatten, unsere Leute nicht miteingeschlossen. Es hatte einundzwanzig Tote aus Nahkämpfen mit dem Feind innerhalb dieses Parameters gegeben.“

Luke schaute zu ihm. „Warum erzählst du mir das?“

Ed zuckte die Schultern. „Du bist ein klein wenig eingerostet. Kein Ehrverlust das einzugestehen. Und du bist wahrscheinlich nicht auf den Kopf gefallen. Aber du hast auch dieses Kampfgen, genau wie ich.“

Luke lachte schallend. „Okay. Ich bin eingerostet. Aber wieso nur ein klein wenig?“ Er lachte und blickte zu Eds enormer Statur auf.

Ed lachte. Er durchsuchte die Taschen des Mannes auf dem Boden. Nach wenigen Sekunden hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. Die elektronische Karte wГјrde das digitale Schloss, das an der Wand neben der FlГјgeltГјr angebracht war, entriegeln.

„Sollen wir rein?“ „Bitte nach dir,“ sagte Ed.




Kapitel 12


„Sie haben kein Recht hier zu sein!“, schrie der Mann. „Raus, raus aus meiner Wohnung!“

Sie standen inmitten eines gigantischen offenen Wohnzimmers. Ein kleiner Flügel stand in einer entfernten Ecke, Fenster, die vom Boden fast bis zur Decke reichten, eröffneten eine Aussicht, welche diejenige des Fahrstuhls zuvor sogar noch übertraf. Morgenlicht strömte hinein. Ein weißes Sofa mit dazu passendem Tisch und Designerstühlen bildeten eine Sitzgruppe, die sich vor einem riesigen an der Wand befestigten Flachbildfernseher gruppierte. Auf der gegenüberliegenden Wand hing ein ebenso großes Ölgemälde, drei Meter hoch, bunte Farbklekse und -tupfer wirbelten wild durcheinander. Luke kannte sich etwas mit Kunst aus. Er tippte auf Jackson Pollock.

„Ja, das gleiche Problem hatten wir draußen mit den Jungs auch“, sagte Luke. „Wir sollen nicht hier sein und… sind es doch.“

Der Mann war nicht besonders groГџ. Er war dick und untersetzt. Er trug einen weiГџen PlГјschrock. Er hielt ein groГџes Gewehr in der Hand, mit dem er auf sie zielte. Luke tippte auf ein altes Browning Safarigewehr, das wahrscheinlich mit 270 Winchestern geladen wurde. Das Ding wГјrde einen Elch in vierhundert Meter Entfernung erledigen.

Luke bewegte sich zur rechten Seite des Raums Ed zur Linken. Der Mann zielte abwechselnd auf Beide, unsicher auf wen er sich konzentrieren sollte.

„Ali Nassar?“

„Wer sind Sie?“

„Mein Name ist Luke Stone. Das ist Ed Newsam. Wir sind von der Bundespolizei.“

Luke und Ed keilten den Mann immer mehr ein.

„Ich bin Diplomat bei den Vereinten Nationen. Sie haben hier keine Befugnis.“

„Wir wollen Ihnen lediglich ein paar Fragen stellen.“

„Ich habe die Polizei gerufen. Sie wird in ein paar Minuten hier sein.“

„Wenn das so ist, warum nehmen sie dann das Gewehr nicht runter? Hören Sie zu, das ist ein altes Gewehr. Sie können nur einmal feuern. Sie werden keine Zeit haben eine zweite Runde nachzuladen.“

„Dann werde ich Sie erschießen und den anderen leben lassen.“

Er drehte sich zu Luke um. Luke bewegte sich entlang der Wand. Er hielt seine Hände in die Höhe, um zu zeigen, dass von ihm keine Gefahr ausging. Im Laufe seines Lebens waren so viele Waffen auf ihn gerichtet worden, dass er es schon vor langer Zeit aufgegeben hatte mitzuzählen. Dennoch fühlte er ein Unbehagen. Ali Nassar sah nicht gerade wie ein geübter Schütze aus, aber sollte es ihm gelingen abzufeuern, würde es ein großes Loch in etwas oder jemandem hinterlassen.

„Wenn ich Sie wäre, würde ich den großen Kerl dort drüben umbringen. Denn wenn Sie mich umbringen, dann wollen Sie gar nicht wissen, was er mit ihnen anstellen wird. Er mag mich.“

Nassar blieb dabei. „Nein. Ich werde dich umbringen.“

Ed war bereits bis auf drei Meter an den Mann herangepirscht. Im Bruchteil einer Sekunde überwand er auch diese Distanz. Er stieß den Gewehrlauf in dem Moment nach oben, als Nassar gerade den Abzug betätigte.

BOOM!

Der Knall war in der Begrenztheit der Wohnung Гјberaus laut. Der Schuss hinterlieГџ ein gewaltiges Loch in der Gipsdecke. Ed brauchte nur eine einzige Bewegung, um Nassar das Gewehr zu entreiГџen, ihm einen Schlag zu verpassen und ihn auf einem der DesignerstГјhle zu platzieren.

„Okay, hinsetzen. Und aufpassen.“

Nassar war durch den Schlag völlig aus der Bahn geworfen. Seine Augen brauchten mehrere Sekunden um wieder in der Mitte anzugelangen. Mit seiner fleischigen Hand tastete er nach dem Striemen, der sich bereits an seinem Kiefer abzuzeichnen begann.

Ed zeigte Luke das Gewehr. „Wo kommt das her?“ Es war verziert, mit mehreren eingelassenen Perlen und einem polierten Gewehrlauf. Noch vor wenigen Minuten hatte es wahrscheinlich irgendwo an einer Wand gehangen.

Luke wendete seine Aufmerksamkeit dem Mann auf dem Stuhl zu. Er fing noch einmal von vorne an.

„Ali Nassar?“

Der Mann schmollte beleidigt vor sich hin. Gleichzeitig sah er verärgert aus, was Luke an seinen Sohn erinnerte. Mit vier Jahren hatte Gunnar häufig auch so dreingeblickt.

Er nickte. „Offensichtlich.“

Luke und Ed mussten schnell handeln und keine Zeit vergeuden.

„Sie können das nicht mit mir machen“, sagte Nassar.

Luke blickte auf seine Uhr. Es war 7 Uhr. Die Polizei konnte jeden Moment hier sein. Sie brachten ihn in das Büro gleich neben dem Wohnzimmer. Sie nahmen ihm seinen Morgenmantel ab. Sie zogen ihm seine Pantoffeln aus. Er trug enge weiße Unterwäsche und sonst nichts darunter. Sein fetter Bauch ragte hervor. Er war fest wie das Fell einer Wirbeltrommel. Sie setzten ihn in einen Sessel und befestigten seine Handgelenke an den Armlehnen und seine Knöchel an den Stuhlbeinen.

Im Büro standen ein Schreibtisch mit einem altmodischen Computer-Tower und Bildschirm. Die CPU-Karte befand sich in einer dicken Stahlkassette, die in dem Steinboden fest verankert war. Es gab keinen sichtbaren Weg, die Kasse zu öffnen, kein Schloss, keine Klappe, nichts. Um an die Festplatte zu kommen, hätten Sie ein Schweißgerät gebraucht. Dafür gab es jedoch keine Zeit.

Luke und Ed schauten auf Nassar herab.

„Sie besitzen ein Nummernkonto bei der Royal Heritage Bank auf der Grand Cayman Insel“, sagte Luke. „Am dritten März haben Sie 250.000 Dollar an einen Mann namens Ken Byrants überwiesen. Ken Byrants wurde letzte Nacht tot aufgefunden,  erwürgt in seiner Wohnung in Harlem.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“

„Sie sind der Auftraggeber eines Mannes mit Namen Ibrahim Abdulraman, der diesen Morgen im Untergeschoss des Center Medical Center gestorben ist. Er wurde durch einen Kopfschuss getötet, während er versucht hatte radioaktives Material zu entwenden.“

Die Ahnung einer Erinnerung huschte Гјber Nassars Gesicht.

„Ich kenne diesen Mann nicht.“

Luke atmete tief durch. Normalerweise hätten wir Stunden, um jemandem etwas zu entlocken. Heute waren es jedoch nur Minuten. Das hieß, dass er wohl etwas würde mogeln müssen.

„Warum ist Ihr Computer auf diese Weise in den Boden eingelassen?“

Nassar zuckte die Schultern. Er begann sein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Luke konnte fast sehen, wie es zurückströmte. Der Mann glaubte an sich. Er hielt sich für eine Steinmauer, die niemand zu durchbrechen vermochte.

„Auf dem Computer sind jede Menge vertrauliche Informationen. Ich habe viele Kunden, die mit geistigem Eigentum zu tun haben. Und wie gesagt ich bin als Diplomat für die Vereinten Nationen tätig. In dieser Funktion erhalte ich gelegentlich Nachrichten, die wie soll ich sagen… geheim sind. Ich wäre nicht hier, wenn ich nicht für meine Diskretion bekannt wäre.“

„Das kann durchaus sein“, sagte Luke. „Aber Sie geben mir jetzt trotzdem das Passwort, damit ich mir selbst ein Bild machen kann.“

„Ich fürchte, dass das nicht möglich sein wird.“

Ed, der hinter Nassar stand, lachte auf. Es klang wie ein Grunzen.

„Sie werden sich wundern, was alles möglich ist“, sagte Luke. „Tatsache ist, dass wir Zugang zu Ihrem Computer kriegen. Und Sie uns das dafür notwendige Passwort geben werden. Nun gibt es einen angenehmen Weg das zu tun und einen unangenehmen. Sie haben die Wahl.“

„Sie werden mir nichts tun“, sagte Nassar. „Sie stecken schon tief genug im Schlamassel.“

Luke blickte zu Ed. Ed ging zu Nassar und kniete sich neben Nassars rechte Seite. Er nahm Nassars rechte Hand in seine starken Hände.

Luke und Ed hatten sich erst letzte Nacht kennengelernt und doch arbeiteten sie schon so zusammen, dass eine verbale Verständigung nicht mehr unbedingt vonnöten war. Es war als würden sie die Gedanken des anderen lesen können. Luke hatte das zuvor schon mehrfach erlebt, gewöhnlich mit Leuten, mit denen er in Einheiten wie Delta zusammengearbeitet hatte. Normalerweise brauchte es mehr Zeit, eine solche Beziehung zu entwickeln.

„Sie spielen doch Klavier, oder?“ fragte Luke.

Nassar nickte. „Vor allem Klassik. Als ich jung war, war ich Konzertpianist. Jetzt spiele ich nur noch für mich selbst zum Spaß.“

Luke beugte sich so weit hinab, dass er mit Nassar auf Augenhöhe war.

„Gleich wird Ed anfangen Ihnen Ihre Finger zu brechen. Klavierspielen wird dann nicht mehr so viel Spaß machen. Und es wird ziemlich weh tun. Ich bin nicht sicher, ob Sie zuvor jemals solche Schmerzen empfunden haben, ich bezweifle es.“

„Das wagen Sie nicht.“

„Ich werde gleich bis drei zählen. Das wird Ihnen ein paar letzte Sekunden geben, um zu entscheiden. Im Gegensatz zu Ihnen warnen wir Leute, bevor wir ihnen wehtun. Wir stehlen kein radioaktives Material, mit dem wir dann versuchen Millionen von Menschen umzubringen. Sie werden dabei noch ganz gut wegkommen im Vergleich zu dem, was Sie vorhaben anderen anzutun. Nach dem ersten Finger werde ich Sie nicht mehr warnen. Ich werde Ed lediglich einen Blick zuwerfen und er wird einen weiteren Finger brechen. Haben Sie das verstanden?“

„Das wird Sie Ihren Job kosten“, sagte Nassar.

„Eins.“

„Sie sind ein kleiner Beamter, der nach Macht lechzt. Sie werden es schwer bereuen, jemals hier hergekommen zu sein.“

„Zwei.“

„Wehe Ihnen.“

„Drei.“

Ed brach den zweiten Knochen von Nassars kleinem Finger. Schnell und ohne große Mühe. Luke hörte es knacken, kurz bevor Nassar einen Schrei ausstieß. Der kleine Finger stand zur Seite ab. Der Winkel, in dem der Finger abstand, wirkte geradezu obszön.

Luke schob seine Hand unter Nassars Kinn und hob einen Kopf nach oben. Nassar biss die Zähne zusammen. Sein Gesicht hatte Flecken und er atmete stoßweise. Aber der Wille in seinem Blick war ungebrochen.

„Das war nur der kleine Finger“, sagte Luke. „Als nächstes käme dann der Daumen. Daumen tun sehr viel mehr weh als kleine Finger. Daumen sind auch wichtiger.“

„Sie sind Barbaren. Ich werde Ihnen gar nichts sagen.“

Luke blickte zu Ed. Eds Gesicht war undurchdringlich. Er zuckte die Schultern und brach den Daumen. Dieses Mal war ein lautes Knacken zu hören.

Luke erhob sich und ließ den Mann eine Weile schreien. Das Geschrei war ohrenbetäubend. Er hörte es in der Wohnung widerhallen, wie in einem Horrorfilm. Vielleicht sollten sie in der Küche nach einem Handtuch suchen, aus dem sie ihm einen Knebel drehen konnten.

Er durchsuchte den Raum. Er mochte diese Situationen nicht. Er wusste, dass es Folter war. Aber die Finger des Mannes würden wieder zusammenwachsen. Wenn die Bombe in einer U-Bahn-Station hochginge, würden viele Menschen sterben. Die Überlebenden würden krank. Keiner von ihnen würde wieder gesund werden. Die Finger des Mannes zu brechen oder unzählige Tote in der U-Bahn, diese zwei Möglichkeiten in die Waagschale zu werfen und abzuwägen, erleichterte die Entscheidung.

Nassar kamen die Tränen. Rotz lief ihm aus der Nase. Er atmete wie wild. Es klang wie huh-huh-huh-huh.

„Schau mich an“, sagte Luke.

Der Mann gehorchte ihm. Sein Blick war weicher geworden.

„Wie ich sehe, hat der Daumen Ihre Aufmerksamkeit geweckt. Als nächstes wäre dann der linke Daumen dran. Danach machen wir mit den Zähnen weiter. Ed?“

Ed bewegte sich auf die linke Seite des Mannes.

„Kahlil Gibran“, keuchte Nassar.

„Was sagen Sie? Ich konnte Sie nicht hören.“

„Kahlil Unterstrich Gibran. Das ist das Passwort.“

„Wie der Autor?“, fragte Luke.

„Ja.“

„Und was heißt es, mit Liebe zu arbeiten?“, sagte Ed und zitierte Gibran.

Luke grinste. „Es heißt die Kleidung aus den Fasern deines eigenen Herzens zu weben, als wäre es das Kleid deiner Geliebten. Das steht auf unserer Küchenwand zu Hause. Ich liebe diesen Autor. Ich würde sagen, wir sind alle drei hier unheilbare Romantiker.“

Luke ging zum Computer und betätigte mit seinem Finger das Touchpad. Das Passwort-Fenster erschien. Er gab die Worte ein.

Kahlil_Gibran

Der Desktopbildschirm erschien. Das Desktopbild zeigte schneebedeckte Berge hinter gelbgrГјnen Wiesen.

„Das scheint zu klappen. Danke, Ali.“

Luke zog eine externe Festplatte, die er zuvor von Swann bekommen hatte, aus seiner Hosentasche. Er verband sie mit dem USB Stecker. Die externe Festplatte hatte einen riesigen Speicher. Sie sollte ohne Probleme die Daten des gesamten Computers fassen können. Über die Entschlüsselung konnten sie sich später Sorgen machen.

Der Datentransfer startete. Der Bildschirm zeigte einen leeren horizontalen Balken. Auf der linken Seite begann der Balken sich grün zu färben. Drei Prozent waren grün, vier Prozent, fünf. Unter dem Balken wirbelte ein Sturm aus Dateinamen, der von der Festplatte verschluckt wurde.

Acht Prozent. Neun Prozent.

Im Hauptraum kam plötzlich etwas in Bewegung. Die Eingangstür würde aufgestoßen. „Polizei!“ schrie jemand. „Waffen fallenlassen! Auf den Boden!“

Sie bewegten sich durch die Wohnung, stießen Gegenstände um, stürmten durch Türen. Es klang als wären es viele. Sie würden jede Sekunde hier sein.

„Polizei! Auf den Boden! Auf den Boden! Runter!“

Luke blickte auf den Ladebalken. Er schien bei zwölf Prozent stecken geblieben zu sein.

Nassar schaute zu Luke hinauf. Seine Lider drückten auf seine Augen. Tränen traten aus ihnen. Seine Lippen bebten. Sein Gesicht war rot und sein sonst fast nackter Körper war schweißnass. Sein Blick war weder siegessicher noch triumphierend.




Kapitel 13




7.05 Uhr

Baltimore, Maryland – Südlich vom Fort McHenry Tunnel


Eldrick Thomas schreckte aus einem Traum hoch.

In dem Traum befand er sich in einer Hütte hoch in den Bergen. Die Luft war sauber und kühl. Er wusste, dass er träumte, denn er war zuvor noch nie in einer Berghütte gewesen. Es gab eine Feuerstelle, in der auch ein Feuer brannte. Das Feuer war warm und er hielt  seine Hände über die wärmenden Flammen. Im Raum nebenan konnte er die Stimme seiner Großmutter hören. Sie sang ein altes Kirchenlied. Sie hatte eine schöne Stimme.

Er Г¶ffnete seine Augen, es war Tag.

Ihm tat alles weh. Er berührte seine Brust. Sie war klebrig vom Blut jedoch hatten die Gewehrschüsse ihn nicht umgebracht. Die Strahlung machte sich bemerkbar. Er erinnerte sich daran. Er blickte sich um. Er lag im Matsch und war umgeben von dicken Büschen. Auf seiner Linken war eine große Wasserstelle, ein Fluss oder Hafen. Er konnte einen Highway in der Nähe hören.

Ezatullah war hinter ihm her gewesen. Aber das… war lange her. Ezatullah war wahrscheinlich längst weg.

„Komm schon, Mann“, krächzte er. „Du musst dich aufraffen.“

Es wäre leicht gewesen, einfach hier zu bleiben. Aber dann würde er sterben. Er wollte nicht sterben. Er wollte kein Dschihadist mehr sein. Er wollte einfach leben. Auch wenn er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen würde, hätte er das gewollt. Gefängnis war okay. Er hatte dort viel Lebenszeit verbracht. Es war gar nicht so schlimm, wie die Leute immer meinten.

Er versuchte aufzustehen, aber er konnte seine Beine nicht fГјhlen. Das GefГјhl war weg. Er rollte sich auf seinen Bauch. Der Schmerz traf ihn wie ein Stromschlag. Ihm wurde schwarz vor Augen. Die Zeit verging. Nach einer Weile wachte er wieder auf. Er war noch immer hier.

Er begann auf dem Boden entlang zu robben, seine Hände zogen ihn durch Dreck und Schmutz nach vorne. Er schleppte sich den Hügel hinauf, der Hügel, von dem er letzte Nacht gerollt war, der ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Er weinte vor Schmerzen, aber er machte weiter. Er scherte sich nicht um den Schmerz, er versuchte einfach nur den Berg hochzukommen.

Eine ganze Weile verstrich. Er lang mit dem Gesicht nach unten im Matsch. Das GebГјsch hier war ein wenig dichter. Er schaute sich um. Er war jetzt oberhalb des Flusses. Das Loch im Zaun war genau vor ihm. Er kroch darauf zu.

Er blieb am unteren Rand des Zauns hängen, während er versuchte sich durch das Loch zu ziehen. Er schrie auf.

Zwei alte schwarze Männer saßen auf weißen Eimern nicht weit von ihm entfernt. Eldrick sah sie ganz klar. Er hatte noch nie zuvor so klar gesehen. Sie hatten Angelruten, Angelkisten und einen großen weißen Eimer. Sie hatten einen großen blauen Kühlwagen auf Rädern. Sie hatten weiße Papiertüten mit McDonald’s Frühstück in Styropor-Boxen. Hinter ihnen stand ein altes verrostetes Oldsmobile.

Ihr Leben wirkte wie das Paradies.

Gott, bitte lass mich sie sein.

Er schrie und die Männer eilten zu ihm herüber.

„Fassen Sie mich nicht an!“ sagte er. „Ich bin kontaminiert.“




Kapitel 14




7.09 Uhr

Weißes Haus – Washington, DC


Thomas Hayes, Präsident der Vereinigten Staaten, stand in langer Hose und langem Hemd in der Familienküche des Weißen Hauses. Er schälte eine Banane und wartete darauf, dass der Kaffee durchlief. Wenn er alleine war, genoss er es hierherzukommen und sich selbst das Frühstück zu machen. Er hatte sich noch nicht einmal seine Krawatte umgebunden. Er war barfuß. Dunkle Gedanken quälten ihn.

Diese Leute verschlingen mich bei lebendigem Leibe.

Er versuchte solche Gedankengänge zu vermeiden, doch drängten sie sich in letzter Zeit immer mehr auf. Früher war er einmal der größte Optimist gewesen, den er kannte. Er war immer und überall der Beste unter den Besten gewesen. Er hatte die Ansprache bei der Zeugnisvergabe auf der High School gehalten, er war Kapitän des Ruderclubs gewesen, Präsident der Schülervertretung. Er hatte mit summa cum laude sein Studium in Yale abgeschlossen, mit summa cum laude in Stanford. Er war Fulbright Stipendiat gewesen. Präsident des Senats von Pennsylvania. Gouverneur von Pennsylvania.

Er hatte geglaubt, für jedes Problem eine Lösung finden zu können. Er hatte immer an die Wirkungsmacht seiner Führung geglaubt. Er hatte zudem immer an das Gute im Menschen geglaubt. Alle diese Glaubenssätze waren zerbrochen. Fünf Jahre im Amt hatten ihn den letzten Optimismus gekostet.

Er hatte kein Problem mit den langen Arbeitsstunden. Die Verschiedenheit der Abteilungen war kein Problem für ihn, genauso wenig wie die ausschweifende Bürokratie. Bis vor kurzem hatte es keinerlei größere Verstimmungen zwischen ihm und dem Pentagon gegeben. Er konnte mit dem Geheimdienst, der ihn vierundzwanzig Stunden umgab und jeden Bereich seines Alltags begleitete, leben.

Er konnte auch mit den Medien und ihren scharfzüngigen Angriffen auf ihn umgehen. Er ertrug ihre Lästereien über sein Aufwachsen in der Oberschicht und den Ruf eines Salonkommunisten, der angeblich jeden Draht zum gemeinen Bürger vermissen ließ. Das Problem waren nicht die Medien.

Das Problem war das Repräsentantenhaus. Sie verhielten sich wie ein Kindergarten. Sie waren ein Haufen Schwachsinniger. Sie waren Sadisten. Sie waren ein Mob aus Vandalen, der es darauf anlegte, ihn auseinanderzunehmen und ihn Stück um Stück seiner Macht zu berauben. Das Haus war wie eine Schülerversammlung der Realschule, aber eine in der die straffälligsten Schüler der Schule den Vorsitz hatten.

Die durchschnittlichen Republikaner waren eine randalierende Horde mittelalterlicher Barbaren und die Mitglieder der Tea Party bombenwerfende Anarchisten. Unterdessen machte der Sprecher der Minderheitenfraktion des Hauses keinen Hehl daraus, dass er ein Auge auf das Amt des Präsidenten geworfen hatte und er dafür bereit war, den derzeitigen Präsidenten ohne mit der Wimper zu zucken, abzusägen. Der konservative Flügel der Demokraten war ein Bündel heuchlerischer Verräter – in der einen Sekunde händeschüttelnde Eidesgenossen, in der nächsten wütende weiße Männer, die gegen Araber und Migranten und innerstädtische Kriminalität wetterten. Thomas Hayes wachte jeden Morgen auf, wissend, dass der Kreis seiner Freunde und Verbündeten mit jeder Stunde kleiner und kleiner wurde.




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